
Am 1. Februar 2025 steht Istanbul erneut im Mittelpunkt der politischen Repression in der Türkei. Der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu sieht sich neuen Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft gegenüber. Diese wurden unmittelbar nach einer Rede bekannt, in der er die justizielle Behandlung der Oppositionspolitiker scharf kritisierte. Imamoglu stellt in Frage, warum ein und derselbe Gutachter in zahlreichen Verfahren gegen Oppositionspolitiker eingesetzt wird, obwohl in Istanbul fast 9000 Sachverständige zur Verfügung stehen. Unter den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, ist der Verdacht der Beeinflussung der Justiz.
Die aktuellen Vorwürfe gegen Imamoglu sind nicht die ersten in seiner politischen Karriere. Bereits zuvor hatte er mit weiteren Verfahren zu kämpfen, die ihm ein Politikverbot einbringen könnten. Der Oppositionsführer der Republikanischen Volkspartei (CHP), Özgür Özel, kritisierte den Istanbuler Oberstaatsanwalt Akin Gürlek scharf und bezeichnete ihn als „mobile Guillotine“. Imamoglu wurde zudem zur Vernehmung vorgeladen, nachdem er Gürlek kritisiert hatte, und sieht sich nun dem Vorwurf gegenüber, einen Justizbeamten bedroht zu haben.
Politische Opposition unter Druck
Imamoglu und sein Amtskollege, der CHP-Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, heben sich als potenzielle Herausforderer des amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hervor. Diese Situation kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Erdogan Interesse an einer erneuten Amtszeit signalisiert hat, jedoch gesetzliche Voraussetzungen für eine erneute Kandidatur schaffen muss. Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass die Unabhängigkeit der Justiz unter Erdogans zweieinhalb Jahrzehnten an der Macht drastisch abgenommen hat. Die Regierung bestreitet diese Vorwürfe und betont die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten, doch viele Kritiker sehen die Justiz als Instrument zur Unterdrückung der Opposition.
In einem weiteren Bespiel für die zunehmende Repression wurden in Siirt gewählte Bürgermeister der kurdischen Demokratischen Partei (DEM) abgesetzt und durch Zwangsverwalter ersetzt. Insgesamt wurden seit den Kommunalwahlen in mindestens neun Städten gewählte Bürgermeister dieser Parteien ihrer Ämter enthoben. Auch im westtürkischen Akdeniz sind gewählte DEM-Bürgermeister in Untersuchungshaft genommen worden. Zudem gab es Festnahmen von Personen, die im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten von 2013 stehen. Diese Ereignisse zeigen ein besorgniserregendes Muster der Repression gegen Andersdenkende und Oppositionelle.
Die Rolle der Justiz im Präsidialsystem
Die Entwicklungen in der Türkei sind eingebettet in einen tiefgreifenden Wandel des politischen Systems, der mit dem Übergang von einer parlamentarischen Demokratie zu einem Präsidialsystem einherging. Präsident Erdogan hat seit dem Referendum von 2017 die Möglichkeit, als alleiniger starker Mann zu regieren. Er kontrolliert nun sowohl die Exekutive als auch die Legislative, kann Minister und hohe Staatsbeamte ernennen und verfügt über weitreichende Befugnisse zur Kontrolle der Justiz. Die schrittweise Umsetzung dieser Reformen hat zur Folge, dass die Gewaltenteilung in der Türkei weiter geschwächt wird und die Unabhängigkeit der Justiz unter Druck gerät.
Die nächsten Präsidentschaftswahlen versprechen, ein Test für die Opposition zu werden. Imamoglu und Yavas stellen sich als herausragende Figuren auf, die das Potenzial haben, gegen die etablierten Machtstrukturen Erdogans anzutreten. Doch die Frage bleibt, ob die politischen Rahmenbedingungen ausreichend den demokratischen Prinzipien Rechnung tragen oder ob die Repression die Opposition weiter schwächen wird. Experten wie Howard Eissenstat warnen, dass Erdogans Autokratie keine Pause mache und die Repression diversen Motiven entspräche, darunter der Kontrolle der Politik und der Ablenkung von wahrgenommenen Misserfolgen, wie bei der Reaktion auf eine jüngste Brandkatastrophe.
Die Situation in der Türkei bleibt angespannt, während die politischen Akteure sich auf die bevorstehenden Herausforderungen vorbereiten. Die Unsicherheit wächst, nicht nur um die rechtlichen Konsequenzen für Imamoglu, sondern auch um die Zukunft der politischen Opposition im Land.
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