
Würzburger Chemiker haben einen bedeutenden Fortschritt in der Forschung zu Graphen erzielt. In ihrer neuesten Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Nature“, berichten sie, dass sie erstmals einen Defekt in Graphen erzeugt haben, der es Ionen ermöglicht, die Struktur zu passieren. Graphen, ein extrem dünnes und flexibles Material, besteht aus reinem Kohlenstoff und kann in Form von bis zu tausenden Schichten hergestellt werden, um die Dicke eines menschlichen Haares zu erreichen. Die Durchlässigkeit von Graphen für verschiedene Stoffe ist ein zentrales Thema in der Wissenschaft, und die Entdeckung könnte weitreichende Anwendungen nach sich ziehen.
Das Forschungsteam unter der Leitung von Frank Würthner hat ein Modellsystem entwickelt, in dem Halogenid-Ionen – konkret Fluorid, Chlorid und Bromid – durch gezielt erzeugte Defekte im Kohlenstoffgitter hindurchtreten können. Im Gegensatz dazu zeigte das System keine Durchlässigkeit für Iodid. Der Defekt wurde in einer stabilen Doppelschicht aus zwei Nanographenen erzeugt, die einen Hohlraum umschließt, in dem die Halogenid-Ionen gebunden werden. Dies ermöglicht es den Forschern, die Eintrittszeit der Ionen genau zu messen.
Die Bedeutung von Chlorid
Chlorid, das als Bestandteil von Kochsalz im Meerwasser vorkommt, spielt eine essenzielle Rolle in vielen biologischen Prozessen. Die hohe Durchlässigkeit für Chlorid sowie die selektive Bindung von Halogeniden könnten zahlreiche neue Anwendungen eröffnen. Diese beinhalten Offshore-Wasser-Filtrationsmembranen, künstliche Rezeptoren sowie spezielle Chloridkanäle, die in der Medizin Anwendung finden könnten. Die Würzburger Chemiker planen, in den nächsten Schritten größere Stapel von Nanographenen aufzubauen, um den Ionendurchfluss umfassender zu untersuchen.
Die außergewöhnlichen Eigenschaften von Graphen machen es zu einem Material, das großes Potenzial für innovative Anwendungen in der Elektronik und Energietechnologie birgt. Die Forschung am Institut für Organische Chemie und am Zentrum für Nanosystemchemie der JMU wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt. Die Publikation von Würthner und seinem Team mit dem Titel „Bilayer nanographene reveals halide permeation through a benzene hole“ trägt zur wachsenden Wissensbasis über Graphen bei und wird die zukünftige Forschung in diesem Bereich erheblich beeinflussen.
Graphen im industriellen Kontext
Die Bedeutung von Graphen wird auch auf industrieller Ebene erkannt. Initiativen wie das Graphene Flagship der EU sowie hohe Investitionen in die Industrie fördern die Entwicklung von Graphen-basierten Prototypen und Anwendungen. Entsprechend der von Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts ISI veröffentlichten Roadmap zur Markteinführung von Graphen-Anwendungen wird bis 2025 ein deutlicher Anstieg der Marktdurchdringung in verschiedenen Produkten wie Reifen, Batterien und elektronischen Geräten erwartet. Die Nachfrage nach Graphen hat sich in den letzten zwei Jahren nahezu vervierfacht.
In diesem Kontext wird auch die Entwicklung internationaler Standards für Graphen und verwandte Materialien vorangetrieben. Die nächsten Jahre sind entscheidend für die Marktreife von Graphen, wobei bis 2030 die disruptive Wirkung des Materials im Vergleich zu traditionellen Stoffen wie Silizium oder Stahl beurteilt werden soll. Europa hat sich die Rolle als Vorreiter in der Entwicklung von Graphen-Anwendungen auf die Fahnen geschrieben, was durch diverse Projekte des Graphene Flagship unterstrichen wird.
Insgesamt zeigt die Forschung zu Graphen vielversprechende Perspektiven auf, sowohl für die wissenschaftliche Gemeinschaft als auch für die Industrie. Mit den jüngsten Fortschritten in der Ionendurchlässigkeit könnte Graphen nicht nur in der Materialwissenschaft, sondern auch in der biomedizinischen Anwendung revolutionäre Veränderungen mit sich bringen.
Die neuesten Errungenschaften in der Graphenforschung sowie die industriellen Bestrebungen verdeutlichen das wachsende Interesse und das enorme Potenzial dieses faszinierenden Materials.
Für weitere Informationen zu den Fortschritten in der Graphenforschung besuchen Sie die folgenden Seiten: Universität Würzburg, Phys.org, Fraunhofer ISI.