
In Deutschland nimmt die Kartenzahlung zu, während viele Menschen weiterhin Bargeld bevorzugen. In diesem Kontext ist die Praxis des „Nudging“ bei der Trinkgeldgabe in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Kunden sehen beim Bezahlen mit Girocards oder Kreditkarten häufig automatisierte Trinkgeld-Optionen auf den Kartenlesegeräten vor sich. Diese Optionen bieten oft feste Prozentsätze wie 5%, 10% oder 15%, während alternative Optionen wie „Aufrunden“ meist fehlen. Dies führt zu Irritationen bei Kunden, besonders wenn sie in Bäckereien oder Imbissen zur Trinkgeld-Zahlung aufgefordert werden, wie derwesten.de berichtet.
Das Phänomen des „Nudging“ beschreibt eine subtile Beeinflussung, die Anreize zum Geben von Trinkgeld schafft. Kritiker dieser Praxis argumentieren, dass in Deutschland kein Druck erforderlich ist, da es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt und die Trinkgeld-Kultur als großzügig angesehen wird. Klaus Schmidt, ein Ökonom, hebt hervor, dass der Trinkgeldgebrauch in den USA anders gelagert ist, da dort Trinkgeld oft einen bedeutenden Teil des Einkommens von Servicekräften darstellt.
Wachsendes Phänomen der Trinkgeld-Aufforderung
In vielen Gastronomiebetrieben, insbesondere in einer oberbayerischen Bäckereikette und Selbstbedienungscafés in München, wird das Trinkgeldsystem zunehmend populär. Vor der Kartenzahlung wird die Frage nach Trinkgeld direkt eingeblendet, was von den Kunden gemischte Reaktionen hervorruft. Während einige Kunden die Aufforderung als normal empfinden, lehnen andere sie als aufdringlich ab. Die Geschäftsführerin eines Münchener Cafés berichtet von einem Anstieg der Trinkgelder dank dieser Funktion, was durch die wiederholte Nachfrage bestätigt wird.
Selbst in Berlin ist das System verbreitet, wo in Bäckereien beim Bezahlen mit Karte nach Trinkgeld gefragt wird. Kunden können unterschiedlich hohe Beträge wählen oder auf Trinkgeld verzichten. Insgesamt zeigt sich, dass immer mehr Kartenlesegeräte in Deutschland die Trinkgeld-Aufforderungen standardmäßig einblenden. Christian Traxler, ein weiterer Ökonom, erklärt, dass diese Entwicklungen nicht ohne Kontroversen sind, da sie die Trinkgeldkultur nachhaltig verändern könnten.
Kritik und Auswirkungen auf die Trinkgeldkultur
Die Entwicklungen werfen Fragen auf: Zum einen, wie sollte Trinkgeld in einer Gesellschaft gehandhabt werden, die ohnehin einen gesetzlichen Mindestlohn kennt? Einige Experten sind der Meinung, dass die vorgeschlagenen Beträge oft über dem Durchschnitt liegen und damit zu einer psychologischen Manipulation beitragen könnten. So zeigt sich, dass höhere Vorschläge die Beträge steigern können, auch wenn gleichzeitig die Anzahl der Trinkgeldgeber sinkt. Sebastian Riesner von der Gewerkschaft NGG mahnt zur Transparenz der Trinkgeldeinnahmen und warnt, dass das Einkommen von Servicekräften nicht vom Trinkgeld abhängen sollte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Phänomen des Nudging in Deutschland auf dem Vormarsch ist. Während Gastronomiebetriebe von steigenden Trinkgeldern profitieren, kritisieren viele das System als potentiell manipulative Maßnahme, die weitreichende Auswirkungen auf die Kultur des Trinkgeldgebens in Deutschland haben könnte. Der Druck, dazuzugeben, könnte nicht nur die Wahrnehmung der Dienstleistung verändern, sondern auch die finanziellen Verhältnisse vieler Beschäftigter langfristig beeinflussen.