
Die Zeitwahrnehmung und die Art und Weise, wie wir Zeit erleben, hat Philosophen und Wissenschaftler seit Jahrhunderten beschäftigt. Besonders faszinierend ist die Beobachtung, dass viele Menschen berichten, die Zeit verginge mit zunehmendem Alter immer schneller. Marc Wittmann, ein erfahrener Medizinpsychologe und kognitiver Neurowissenschaftler, hat diese Thematik in seiner Forschung intensiv untersucht. Seit über 30 Jahren widmet er sich der Frage, wie Menschen Zeit empfinden und wahrnehmen. Nach Wittmanns Forschung führt die Vagheit um die letzten Jahre dazu, dass sie als besonders sensibel für Zeitwahrnehmungen gelten, besonders zwischen 60 und 70 Jahren, wenn das Gefühl der Zeitraffer-Phänomen ein Plateau erreicht.
Diese Wahrnehmung beginnt bereits in der Teenagerzeit. Der Wissenschaftler hat herausgefunden, dass Routine als ein „Zeitkiller“ fungiert. Je mehr Alltag und Gewohnheiten unsere Tage prägen, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen. In einer Studie von Dinah Avni-Babad und Ilana Ritov aus 2003 wird dieses Phänomen weiter unterstützt: Die ersten Tage eines Urlaubs erscheinen den meisten Menschen subjektiv länger, während sich die Zeit in Zeiten routinierter Abläufe erheblich verkürzt. Besonders auffällig ist, dass einprägsame Erlebnisse wie Erstmaligkeiten im Lauf des Lebens abnehmen, was eine schnellere Zeitwahrnehmung begünstigt.
Emotionen und Zeit
Die Wahrnehmung von Zeit wird auch stark von den emotionalen Erlebnissen beeinflusst. Negative Erfahrungen lassen die Zeit oft langsamer erscheinen, während positive Erlebnisse sie beschleunigen. Wittmann schlägt vor, kleine Veränderungen im Alltag zu integrieren, um das Leben abwechslungsreicher zu gestalten und somit die Zeit langsamer wahrzunehmen. Insbesondere in Wartezeiten empfiehlt er eine kognitive Restrukturierung, um diese periodischen Pausen für persönliche Reflexionen zu nutzen.
Professor Krämer hat in einem Vortrag auf die vielfach unterschiedliche Wahrnehmung von Zeit und Raum hingewiesen. Diese beiden Dimensionen sind den Menschen so vertraut, erscheinen aber doch grundverschieden. Während äußere Zeit ein unumstößliches, biologisches und gesellschaftliches Konstrukt darstellt, beschreibt das Gefühl von Zeit die subjektiven Erlebnisse, die vielfältig von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren geprägt werden. Diese Erkenntnis ist besonders relevant im Kontext des aktuellen Zeitgeistes, der durch die digitale Revolution und gesellschaftliche Veränderungen stark gefordert wird.
Die kognitiven Dimensionen der Zeitwahrnehmung
Die Zeitwahrnehmung wird nicht durch ein spezielles Organ im Gehirn beeinflusst, sondern spiegelt sich im Körperbewusstsein wider. Physische Signalübertragungen, wie Herzrate und Atmung, spielen eine entscheidende Rolle darin, wie Zeit wahrgenommen wird. Gerade in Zeiten intensiven Stresses oder Fremdbestimmung kann die Zeit als unzufriedenstellend empfunden werden. Dabei führt die Corona-Krise dazu, dass viele Menschen entweder ein langsames Vorbeiziehen der Zeit empfunden haben oder diese rückblickend als schnell vergingen.
Marc Wittmann liefert zudem das „Zeitgeber-Akkumulator-Modell“, das die Beziehung zwischen Zeitwahrnehmung und Selbstwahrnehmung erklärt. In stressfreien, angenehmen Situationen vergeht die Zeit subjektiv oft schneller, während Langeweile und psychische Erkrankungen wie Depressionen das Gefühl einer verlangsamten Zeit hervorrufen können. Ein wenig überraschend ist, dass auch die Dichte von erinnerbaren Erlebnissen entscheidend ist für die subjektive Einschätzung vergangener Zeit: Je mehr Inhalte wir in Erinnerungen festhalten, desto länger scheint uns ein Zeitraum in Rückschau.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zeitwahrnehmung eine komplexe Wechselwirkung zwischen subjektiven Gefühlen, biologischen Prozessen und äußeren Einflüssen ist. Die Erkenntnisse von Experten wie Marc Wittmann, zusammen mit philosophischen und psychologischen Betrachtungen, eröffnen ein vielschichtiges Verständnis über den Lauf der Zeit in menschlichen Leben. Das Augenmerk auf die Zeit und ihre Struktur war in den letzten Jahrzehnten relevanter denn je, insbesondere im Kontext der globalen Veränderungen.