
Im Prozess gegen Joël Le Scouarnec, einen 74-jährigen ehemaligen Chirurgen, der beschuldigt wird, über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten Hunderte von Kindern misshandelt zu haben, stehen die Geschehnisse im Fokus. Der Fall gilt als einer der größten Kindesmissbrauchs-Prozesse in der Geschichte Frankreichs und hat in den letzten Jahren immense mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit erregt. Le Scouarnec, der ab dem 24. Februar 2024 in Vannes vor Gericht steht, wird vorgeworfen, etwa 300 junge Patienten, meist Minderjährige, zwischen 1989 und 2014 im Krankenhaus vergewaltigt und misshandelt zu haben, häufig während sie narkotisiert waren. Dies berichtet die Süddeutsche Zeitung.
Die beunruhigenden Details der Anklage umfassen ein Dokument mit 1655 Seiten, in dem Le Scouarnec seine Taten akribisch festgehalten hat. Dieses Dokument, auch bekannt als „Son Journal intime“ oder „carnets“, enthält die Namen der Opfer sowie deren Alter, die Daten der Taten und die Orte, an denen die Übergriffe stattfanden. Le Scouarnec beschreibt darin auch seine Empfindungen und Triebe. Die Taten wurden nicht handschriftlich, sondern methodisch auf einem Computer dokumentiert.
Die Vorgeschichte und frühere Verurteilungen
Die Vergangenheit von Joël Le Scouarnec ist von weiteren Vorwürfen und Verurteilungen geprägt. 2020 wurde er bereits zu 15 Jahren Haft verurteilt, nachdem er wegen der Vergewaltigung seiner Nichten, eines Nachbarmädchens und einer jungen Patientin angezeigt worden war. Ein Übergriff fand im Jahr 2017 statt, als er wegen der Vergewaltigung nicht nur seiner Nichten, sondern auch eines Nachbarmädchens verhaftet wurde. Vor dieser Verhaftung war er bereits 2005 wegen des Besitzes von kinderpornografischen Materialien verurteilt worden, was ihm jedoch nicht die berufliche Tätigkeit als Chirurg untersagte, da er weiterhin arbeiten konnte, bis er schließlich 2017 in den Ruhestand trat. In einer 2017 durchgeführten Hausdurchsuchung fanden die Ermittler mehr als 300.000 Fotos und 5000 Gewaltvideos, darunter auch Aufnahmen von Kindesmissbrauch. Bluewin liefert einen detaillierten Einblick in die erschreckenden Funde.
Le Scouarnec wurde in Paris geboren, wo er als guter Schüler galt und schließlich in den 1980er Jahren seine Ausbildung zum Chirurgen abschloss. Er führte ein scheinbar normales Leben, war verheiratet und Vater von drei Söhnen. Seine Ehe endete in den 2000er Jahren, die Scheidung wurde 2023 vollzogen. Seine Ex-Frau äußerte sich kritisch über die Enthüllungen und beschrieb die Situation als einen schrecklichen Verrat, da sie nichts von seinen Neigungen wusste.
Gesellschaftliche Auswirkungen und statistische Lage
Der Fall von Le Scouarnec wirft nicht nur Fragen zum individuellen Fehlverhalten auf, sondern reflektiert auch ein größeres gesellschaftliches Problem. Die Erfassung von sexuellem Kindesmissbrauch ist in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, unzureichend. Die Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs hebt hervor, dass aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nur die offiziell angezeigten und verfolgten Fälle erfasst werden, was zu einer hohen Dunkelziffer führt. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland beispielsweise 15.520 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch registriert. Dennoch bleibt unklar, wie viele Taten tatsächlich verübt werden.
Die steigende Zahl der angezeigten Fälle könnte auf eine größere Bereitschaft hinweisen, Missbrauch anzuzeigen, was in den letzten Jahren geschehen ist. Es ist bekannt, dass viele Taten im Dunkelfeld bleiben und nur ein kleiner Teil der Übergriffe zur Anzeige kommt. Die Notwendigkeit für umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen zur Häufigkeit und den Betroffenen ist offensichtlich und wurde von der WHO gefordert, um verlässliche Daten zu erhalten und die gesellschaftlichen Probleme anzugehen.