
In Europa leben derzeit etwa zwei Millionen Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Diese Zahl hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, was auf komplexe Zusammenhänge zwischen genetischen und umweltbedingten Faktoren hinweist. Eine neuartige Studie, die unter der Leitung des Instituts für Klinische Molekularbiologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt wurde, zeigt, dass einige Personen genetischen Schutz vor diesen Erkrankungen besitzen.
Die erforschte Genvariante, IL23R, die eine entscheidende Rolle bei der Immunregulation spielt, ist besonders interessant. Diese Variante war bei den ersten sesshaften Bauern in Anatolien weit verbreitet und gelangte durch verschiedene Wanderungsbewegungen zwischen 10.000 und 12.000 Jahren nach Europa. Die Unterscheidung dieser Variante kann einige Einblicke in die Immunantwort und die Anfälligkeit für entzündliche Erkrankungen geben.
Genetische Einsichten
Die Studie analysierte insgesamt 251 Genome aus den letzten 14.000 Jahren. Die Genvariante IL23R hilft dem Immunsystem, eine reduzierte Immunantwort zu entwickeln, was in der Vergangenheit bei den ersten Jungbauern zu einem Überlebensvorteil führte. Statistiken zeigen, dass ungefähr fünf Prozent der Menschen in Europa diese Variante tragen, wobei sie in Südwesteuropa am häufigsten vorkommt und in Nordosteuropa am seltensten.
Forschende aus den Bereichen Genetik, Medizin und Archäologie beteiligten sich an dieser umfassenden Untersuchung, deren Ergebnisse auch wichtige Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Therapiemethoden gegen CED bereitstellen. In einem weiteren Kontext ist zu beachten, dass trotz moderner Behandlungsmöglichkeiten etwa 70 % der Morbus-Crohn-Patienten und 30 % der Colitis-ulcerosa-Patienten im Laufe ihres Lebens einer Operation bedürfen.
Herausforderungen und Fortschritte in der Behandlung
Trotz der Fortschritte in der Grundlagenforschung bleibt die Behandlung von CED unzureichend. Nebenwirkungen der aktuellen Therapien belasten viele Patienten. Wichtige Untersuchungsfelder sind die genetische Varianz, das Mikrobiom und die mukosale Barriere des Darms. Insbesondere Stuhltransplantationen haben bei einigen Patienten mit Colitis ulcerosa Erfolge gezeigt, obwohl noch Fragen bezüglich der optimalen Spender und Darreichungsform bestehen.
Die genetische Empfindlichkeit spielt eine signifikante Rolle in den Entzündungsprozessen von CED. Faktoren wie Umweltveränderungen und Antibiotika-Einnahme können zusätzliche Risiken darstellen. Genotypisierung könnte helfen, zielgerichtete Therapien zu entwickeln, besonders bei Thiopurinen, die bei CED häufig eingesetzt werden. Ein genetisches Polymorphismus-Studium ergab, dass bestimmte Varianten wie NUDT15 das Risiko für Myelosuppression erhöhen.
Das Forschungsteam, das die verbleibenden Fragen zu genetischen Faktoren und deren Einfluss auf die Krankheitsentwicklung weiterhin verfolgt, setzt sich aus mehreren namhaften Institutionen zusammen, darunter das Forschungszentrum Borstel, die Universität Lübeck und die Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.
Fazit und Ausblick
Die Erkenntnisse aus der Studie bieten nicht nur Einsichten in die Genetik von CED, sondern auch potentielle Ansatzpunkte für personalisierte Therapien. Trotz der bestehenden Herausforderungen in der Behandlung hoffen die Forschenden, dass die Kombination aus genetischen Einsichten und fortschrittlichen Therapiemethoden zu mehr Effektivität in der Patientenversorgung führt.
Insgesamt zeigt die aktuelle Forschung, dass ein tieferes Verständnis der Genesung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sowie der zugrunde liegenden genetischen Mechanismen von großer Bedeutung ist. Zukünftige Entwicklungen könnten eine Kombination personalisierter Medizin mit standardisierten Behandlungsprotokollen umfassen, um den Patienten eine individuell angepasste Therapie anzubieten.
Für weitere Informationen zur Studie und deren Auswirkungen lesen Sie die vollständigen Berichte auf uni-kiel.de, nature.com und aerzteblatt.de.