
Die erschütternden Erfahrungen ehemaliger Heimkinder im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau werfen einen langen Schatten auf die Geschichte der DDR. Diese Einrichtung zur Umerziehung von Jugendlichen, die nicht dem Idealbild der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) entsprachen, war von 1964 bis Ende der DDR in Betrieb und betrifft schätzungsweise über 4000 Jugendliche. Laut den Berichten von Schwäbische wurden die dortigen Bedingungen als haftähnlich beschrieben, geprägt von militärischem Drill, exzessiven Trainingsprogrammen und Gewalt.
Alexander Müller, der 1984 und 1985 im Jugendwerkhof Torgau eingewiesen wurde, beschreibt seine Zeit dort als extrem bedrohlich. Er kämpfte mit Suizidgedanken und fühlte sich durch den ständigen Zwang zu körperlicher Arbeit und sportlichen Aktivitäten unter enormen Druck gesetzt. Diese traumatischen Erlebnisse verfolgen ihn bis heute und haben zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt. Müller, der heute aktiv im Verein „Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau“ engagiert ist, setzt sich seit 2010 für die Erinnerung an die Geschehnisse ein und warnt vor den Gefahren totalitärer Systeme. Er fordert die Jugend auf, sich für Demokratie einzusetzen: „Kämpft um eure Demokratie! Das ist sehr, sehr wichtig.“
Strukturen der Jugendhilfe in der DDR
Die Jugendhilfe in der DDR, organisiert unter dem Ministerium für Volksbildung, hatte das Ziel, eine sozialistische Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. Maßnahmen gegen als problematisch geltende Jugendliche umfassten unter anderem die Einweisung in Spezialheime wie den Jugendwerkhof Torgau. Auflehnung gegen Heimordnungen, Fluchtversuche und so genanntes „abweichendes Verhalten“ führten zu repressiven Maßnahmen. Die Strukturen waren darauf ausgelegt, jegliche Unangepasstheit zu unterdrücken, wie die bpb beschreibt.
Insgesamt wurden schätzungsweise 135.000 Kinder und Jugendliche in DDR-Spezialheime einwiesen, in denen oft schwerwiegende Übergriffe stattfanden. Müller berichtet von sexueller Gewalt durch einen Erzieher im Jugendwerkhof und von der ständigen Furcht, Verrat zu erfahren, was zwischen den Heimbewohnern eine Atmosphäre des Misstrauens schuf. Freundschaften waren nahezu unmöglich, da jeder Angst hatte, die Informationen zu missbrauchen.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit
Erst nach dem Fall der Mauer und der Schließung des Jugendwerkhofs im November 1989 wurde die repressiven Heimerziehung zumindest theoretisch beendet. Aktuelle Ausstellungen, wie die neue Dauerausstellung mit dem Titel „Ich bin als Mensch geboren, und will als Mensch hier raus“, erinnern an die Schicksale der ehemaligen Heimkinder und sind ein wichtiger Schritt in der Aufarbeitung dieser dunklen Kapitel der DDR-Geschichte. Verweigerung von Zwangsmaßnahmen, wie es Müller in den 1980er-Jahren tat, führte dazu, dass er in den Fokus der Staatssicherheit geriet.
Trotz der schmerzhaften Erinnerungen hat Müller in den letzten Jahrzehnten versucht, vergeben zu lernen und sich aktiv gegen das Vergessen einzusetzen. Sein Ziel ist es, die Erfahrungen der ehemaligen Heimkinder ernst zu nehmen und zu verhindern, dass ähnliche Tragödien in der Zukunft wiederkehren. Ein Appell an die Gesellschaft, sich den Wahrheiten der Geschichte zu stellen, wird von vielen ehemaligen Schülern und Zeitzeugen immer wieder geäußert.
Trotz der Umsetzung eines Entschädigungsfonds zur Unterstützung von Opfern wird die Debatte über angemessene Entschädigungen und die Anerkennung der erlittenen Ungerechtigkeiten fortgesetzt. Laut ZDF ist es von entscheidender Bedeutung, dass diese Geschichten nicht in Vergessenheit geraten, um eine bessere Zukunft für kommende Generationen zu gestalten.