
Im Jahr 2024 haben Polizeibeamte in Deutschland mehr tödliche Schüsse abgegeben als in den letzten 25 Jahren. Laut einer Auswertung der Deutschen Presse-Agentur starben bundesweit 22 Menschen aufgrund des Schusswaffengebrauchs durch die Polizei. Diese Besorgnis erregende Statistik spiegelt eine besorgniserregende Entwicklung wider, bei der sowohl psychische Erkrankungen als auch der Drogenmissbrauch eine erhebliche Rolle spielen.
Ein Vorfall, der die Diskussion über Polizeigewalt neu entfacht hat, ereignete sich am Silvesternachmittag in Grünsfeld (Main-Tauber-Kreis). Hier entführte ein 38-Jähriger einen Bagger, verursachte Schäden an mehreren Fahrzeugen und Gebäuden und verletzte während einer einstündigen Verfolgungsjagd mehrere Polizisten, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Derartige Fälle verdeutlichen die komplexen Zusammenhänge zwischen psychischen Ausnahmesituationen und den daraus resultierenden tödlichen Einsätzen der Polizei.
Psychische Erkrankungen und Polizeigewalt
Die Mehrheit der erschossenen Personen befand sich in psychischen Ausnahmesituationen oder war bereits in Behandlung wegen psychischer Erkrankungen. Ein kriminologischer Blick auf die vergangene Dekade zeigt, dass zwischen 2009 und 2017 über 50% der 74 Menschen, die durch Polizeischüsse getötet wurden, Hinweise auf psychische Erkrankungen aufwiesen. Thomas Feltes, ein Kriminologe, hebt hervor, dass die Schussabgabe durch Polizisten in Deutschland im internationalen Vergleich jedoch relativ selten ist. Dennoch ist die Zahl der psychisch erkrankten Opfer in den letzten Jahren gestiegen, was auf eine Zunahme von Vereinsamung und veränderten Drogenkonsum hinweist.
In einer besorgniserregenden Zählung durch die Fachzeitschrift „Bürgerrechte & Polizei“ wurde festgestellt, dass es im Jahr 2023 insgesamt zehn Tote durch Polizeigewalt gab. Dies folgt elf Toten im Jahr 2022 und acht im Jahr 2021. Ein besonders bekannter Fall betrifft eine 31-Jährige, die in einem Münchner Supermarkt erschossen wurde, nachdem sie Polizisten mit einem Messer angegriffen hatte. Der Vorfall verdeutlicht, wie oft solche Tragödien mit einer Vorgeschichte psychischer Erkrankungen und Drogenmissbrauch verbunden sind.
Die Notwendigkeit von Reformen
Im Hinblick auf die Zunahme der Polizeigewalt wird immer wieder die Notwendigkeit von Reformen diskutiert. Es fehlt an Fortbildungsmaßnahmen über psychische Erkrankungen in der Polizeiausbildung. Polizisten sollten in Extremsituationen klären, ob ein Schusswaffengebrauch wirklich notwendig ist oder ob die Situation stabilisiert werden kann, bevor es zu Gewalt kommt. Experten plädieren dafür, dass in Einsatzzentralen Listen von Psychologen und Psychiatern vorhanden sein sollten, um bei Bedarf psychologische Fachkraft hinzuzuziehen.
In einer weiteren Analyse wird festgestellt, dass seit 1990 über 260 Menschen in Deutschland durch Polizeischüsse ums Leben kamen, wobei die Zahlen in den letzten Jahren große Schwankungen aufwiesen. Insbesondere das Jahr 2016 war mit 13 Toten ein schwarzes Jahr für die Polizeigewalt in Deutschland. Der Fall eines 34-Jährigen, der im November in Kamp-Lintfort nach einem vermeintlichen Angriff mit einem Schlüsselbund erschossen wurde, zeigt, dass nicht immer ein klarer krimineller Hintergrund vorliegt.
Die statistische Aufarbeitung von Polizeigewalt ist ein wichtiger Schritt, um die Hintergründe und Ursachen besser zu verstehen. Daten zeigen auch, dass die Wahrnehmung von Polizeigewalt in der Gesellschaft oft durch soziale Medien und diverse Protestbewegungen beeinflusst wird. Die Diskussion über Polizeigewalt und deren Auswirkungen auf Bürgerrechte hat an Dringlichkeit gewonnen – besonders im Hinblick auf die Forderungen nach mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht innerhalb der Polizeibehörden.
Insgesamt fordert die besorgniserregende Entwicklung einen verantwortungsbewussten Umgang mit Polizeigewalt und den kriminologischen und psychologischen Herausforderungen, die damit verbunden sind. Damit die Polizei in extremen Situationen angemessen handeln kann, muss sowohl die Ausbildung als auch die allgemeine Struktur reformiert werden, um zukünftigen Tragödien vorzubeugen.
Für weitere Informationen zu diesem Thema, siehe die Berichterstattung von SÜDKURIER, eine Analyse dazu in der taz und statistische Ausführungen auf das-wissen.de.