
Die Diskussion um die Ausbildung von Physiotherapeuten in Deutschland nimmt an Fahrt auf. Angesichts zahlreicher Berichte über sexuelle Übergriffe in der Physiotherapie fordern Verbände in Baden-Württemberg eine verbesserte Ausbildung, um die Sensibilisierung für Grenzen und den Umgang mit Übergriffen zu gewährleisten. Dies wird besonders dringlich, nachdem ein Physiotherapeut im Kreis Heilbronn wegen sexueller Übergriffe auf eine Patientin verhaftet wurde, wie SWR berichtet.
Die Problematik ist jedoch nicht nur einseitig. Laut Hannah Hecker, Landesvorsitzende von Physio Deutschland, sind auch Therapeuten selbst Opfer sexueller Übergriffe. Ein verpflichtendes Training zum Umgang mit derartigen Situationen ist aktuell kein fester Bestandteil der Physiotherapie-Ausbildung. Katja Schlungbaum, Inhaberin einer Physiopraxis, schildert unangenehme Erlebnisse, darunter anzügliche Bemerkungen und gezielte Übergriffe. Um diese Themen in der Ausbildung anzusprechen, ist es entscheidend, klare Grenzen zu setzen, was Manuela Kindermann von der Fachberatungsstelle Pfiffigunde betont.
Aktuelle Entwicklungen in der Physiotherapie-Ausbildung
Ein unverzichtbarer Schritt in diesem Kontext ist die Reform der Physiotherapie-Ausbildung, die auch bundesweit diskutiert wird. Der Bundestag berät am 18. Oktober 2023 über einen Antrag zur Reform der Physiotherapieausbildung, eingereicht von der CDU/CSU-Fraktion, wie bundestag.de berichtet. Der Antrag zielt auf eine Teilakademisierung und die Weiterentwicklung der Ausbildung, insbesondere auch in Bezug auf die wachsende Komplexität der Versorgungsstrukturen.
Ein zentraler Aspekt ist, dass es trotz des Bedürfnisses nach Veränderungen noch keinen umfassenden gesetzlichen Rahmen gibt. Die Ausbildung von Physiotherapeuten beruht noch auf einem in 1994 erlassenen Gesetz, welches als veraltet gilt. Initiativen zur Modernisierung und Novellierung der Ausbildung sind seit Jahren im Gange, jedoch aufgrund politischer Herausforderungen nicht vollständig umgesetzt worden, was zur Stagnation im Bereich des Schutzes vor sexueller Belästigung beiträgt.
Gesellschaftliche Verantwortung in der Physiotherapie
Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz stellen nicht nur für die Betroffenen eine erhebliche psychische Belastung dar, sondern sind auch eine arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr. Diverse Studien, wie die von Adler et al. (2021), zeigen die Prävalenz solcher Übergriffe in sozialen und Gesundheitsberufen auf. Der Bereich der Physiotherapie ist hiervon nicht ausgenommen, was die DGUV als Handlungsfeld für eine gewalt- und diskriminierungsfreie Arbeitskultur erkennt. Es gibt zahlreiche Hilfsangebote für Betroffene, darunter die Hilfe-Portal sexueller Missbrauch und das Elterntelefon.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Neugestaltung der Physiotherapie-Ausbildung nicht nur eine akademische Reform ist, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung umfasst. Die verbesserte Ausbildung könnte dazu beitragen, sowohl Therapeuten als auch Patienten wirksam zu schützen und eine respektvolle, sichere Therapieumgebung zu schaffen.