
Die Pflegebranche in Europa steht vor einer Krise, die sich nicht nur auf die Arbeitsbedingungen der Pflegenden, sondern auch auf die Qualität der Versorgung der Pflegebedürftigen auswirkt. Anlässlich der Veröffentlichung eines Policy Papers durch das Forschungsprojekt Care4Care wird auf die Herausforderungen hingewiesen, die im Pflegebereich einiges an Bewegung erfordern.
In vielen EU-Staaten sind die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte stark belastend. Ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Eva Kocher und Dr. Ziga Podgornik-Jakil von der Europa-Universität Viadrina hat zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus Italien, Spanien, Schweden, Polen und Frankreich die zentralen Forderungen für eine Verbesserung der Situation formuliert. Insbesondere ein besserer Schutz vor körperlichen und psychosozialen Belastungen steht dabei im Fokus.
Der Fachkräftemangel schlägt zu
Deutschland, ein Land mit einer schnell alternden Bevölkerung, sieht sich seit 2017 mit einem jährlichen Anstieg von durchschnittlich 326.000 Pflegebedürftigen konfrontiert. Allein im Jahr 2022 lag dieser Anstieg bei 361.000. Alarmierend ist, dass 2023 vier von fünf Pflegeeinrichtungen ihr Angebot aufgrund von Personalmangel einschränken mussten. Dies stellt einen kritischen Punkt dar, denn laut Deutschlandfunk konnten 72% der Pflegeheime nicht alle erforderlichen Leistungen erbringen. 89% der ambulanten Dienste hatten sogar Neukunden abgelehnt.
Die Prognosen gehen davon aus, dass bis 2040 die Anzahl der Pflegebedürftigen auf rund 6 Millionen ansteigen wird. Die Deutschen verfehlen damit eine Lösung für das drohende Problem. Der Fachkräftemangel ist bereits gravierend: Der Deutsche Pflegerat sieht bis zu 500.000 zusätzliche Pflegekräfte bis 2034 als notwendig an, während zurzeit über 115.000 Stellen unbesetzt bleiben.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Unzureichende Arbeitsbedingungen, eine hohe Arbeitsbelastung und eine Überstundenkultur tragen zur unattraktiven Wahrnehmung des Pflegeberufs bei. Dies führt zu einer emotionalen Erschöpfung bei Pflegekräften und verlängert zudem die Wartezeiten für Patienten. Um diese Probleme zu bewältigen, sind laut den Fachleuten grundlegende Veränderungen notwendig. Dazu gehören verbesserte Arbeitsbedingungen, höhere Gehälter und eine gezielte Ausbildungsförderung.
Das Pflege-Marktplatz berichtet von der verschärften Situation, die insbesondere durch den demografischen Wandel angeheizt wird. Technologische Innovationen könnten in der Zukunft dazu beitragen, die Effizienz im Pflegesektor zu erhöhen. Politische Maßnahmen zur Schaffung gesetzlicher Regelungen für bessere Arbeitszeiten sind ebenfalls dringend gefordert.
Strategien zur Attraktivitätssteigerung
Zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation müssen flexiblere Arbeitszeitmodelle sowie die Umverteilung von Aufgaben gefördert werden. Das Modell „Buurtzorg“ aus den Niederlanden hat in Deutschland auf Einschränkungen gestoßen und verdeutlicht die Schwierigkeiten bei der Umsetzung innovativer Pflegeansätze. Währenddessen zeigen Projekte wie das „Regionale Pflegekompetenzzentren“ positive Ergebnisse, benötigen aber weitere finanzielle Unterstützungen.
Die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten ist entscheidend, um nachhaltige Lösungen gegen den Fachkräftemangel zu finden. In der Live-In-Pflege, einem Bereich, der oft als Selbstständigkeit definiert wird, sind klare Arbeitsverhältnisse und Rechte der Arbeitnehmenden zu stärken.
Insgesamt stellt das Care4Care-Projekt mit seinem Budget von 2,7 Millionen Euro und seinen Kernforderungen einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Doch es braucht mehr, als nur Anwerbeprogramme: die Anerkennung von Qualifikationen und die Unterstützung bei der Integration von Pflegekräften. Der Pflegeberuf braucht gesellschaftliche Anerkennung, um für junge Menschen als erstrebenswert zu erscheinen und um qualifiziertes Personal aus dem Ausland zu gewinnen.