
Belgien steht vor einem grundlegenden Kurswechsel in der Energiepolitik. Die neue Regierung unter Premierminister Bart De Wever plant, die Politik des Atomausstiegs aus dem Jahr 2003 zu überdenken. Der Premier bezeichnete das Ausstiegsgesetz als „überholt“ und kündigte an, die bestehende Kapazität der Atomkraftwerke von derzeit vier Gigawatt auf insgesamt acht Gigawatt zu erhöhen. Diese Wendung erfolgt inmitten einer wachsenden Energiekrise und den sich verändernden geopolitischen Rahmenbedingungen, besonders infolge des Ukraine-Kriegs.
Die belgische Regierung, die sich aus einer Koalition von fünf Parteien zusammensetzt, darunter die Neu-Flämische Allianz (N-VA) und die flämischen Sozialisten, will die Laufzeiten der bestehenden Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 um mindestens zehn Jahre verlängern. Energieminister Mathieu Bihet gab an, dass zwei Artikel aus dem Atomausstiegsgesetz gestrichen werden sollen und die Umsetzungen „sehr schnell“ erfolgen werden. Ursprünglich war geplant, alle Atomkraftwerke bis Ende 2025 abzuschalten.
Erweiterung der Atomkraft
Die Laufzeitverlängerung der Reaktoren Tihange 3 und Doel 4 ist das Ergebnis eines Einvernehmens zwischen der belgischen Regierung und dem Energiekonzern Engie. Diese Vereinbarung soll sicherstellen, dass die Energieversorgung des Landes für die nächsten zehn Jahre stabil bleibt. Während der Premierminister die Notwendigkeit der Atomkraft zur Sicherung der Energieversorgung betont, gibt es auch kritische Stimmen. Einige Experten und Bürgergruppen warnen vor den Sicherheitsrisiken, die mit der Verlängerung der Laufzeiten verbunden sind, insbesondere angesichts von Mängeln, die in der Vergangenheit festgestellt wurden.
Die Reaktoren, die ursprünglich aus den 1970er und 80er Jahren stammen, haben bereits im Laufe der Jahre diverse Probleme gehabt, darunter marode Betonteile und Druckabfälle. In der Bevölkerung sowie bei den Nachbarländern, insbesondere Deutschland, gibt es Bedenken hinsichtlich der Sicherheit dieser alten Anlagen. Städte wie Aachen und die Bundesregierung haben bereits wiederholt die Stilllegung der belgischen Kernkraftwerke gefordert.
Ein Europäischer Trend
Diese Entwicklung ist nicht nur auf Belgien beschränkt. Auch in anderen Ländern innerhalb der Europäischen Union, wie Frankreich, Schweden und Italien, werden neue Atomkraftwerke in Planung oder bestehende Anlagen werden modernisiert. Der Druck auf die Energieversorgungssysteme hat dazu geführt, dass die EU-weit an Bedeutung gewinnende Atomkraft als kohlenstoffarme Energiequelle neu bewertet wird. In der Tat planen die Niederlande ebenfalls den Bau von zwei neuen Atomkraftwerken, um die nationale Energieversorgung langfristig zu sichern.
Die belgische Regierung hat jedoch auch vor Herausforderungen gewarnt, die mit der Umsetzung dieser Pläne verbunden sind. Engie, der Betreiber der Atomkraftwerke, steht unter Druck, finanzielle Risiken zu minimieren und gleichzeitig die Anforderungen der Sicherheit zu erfüllen. Dennoch wird die Regierung weiterhin an der Erweiterung der Atomkraft festhalten, um den stark steigenden Bedarf an nachhaltiger Energie zu decken und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.
Das Thema Atomkraft spaltet die belgische Gesellschaft, und es bleibt abzuwarten, wie sich die öffentliche Meinung auf die neuen Regierungspläne auswirken wird. Die eingeleiteten Maßnahmen könnten das Energiesystem Belgiens in den kommenden Jahren nachhaltig verändern und die Debatten über die Sicherheit und Zukunft der Atomkraft im Land wieder neu entfachen.
Mehr dazu erfahren Sie unter t-online, Stuttgarter Zeitung und n-tv.