
Am 17. Januar 2025 wird ein innovatives digitales Projekt zur Aufarbeitung der Euthanasieverbrechen im Nationalsozialismus angekündigt. Die Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg an der Havel plant ein Spiel mit dem Titel „Meine Oma (88)“, das für Ende 2026 veröffentlicht werden soll. Dieses Vorhaben wird in Zusammenarbeit mit einem Leipziger Gamestudio realisiert und richtet sich an Jugendliche und Erwachsene unterschiedlicher Bildungshintergründe. Ziel ist es, ein Bewusstsein für die Verstrickungen von Familienangehörigen in die Euthanasieverbrechen zu schaffen.
Das Spiel bietet den Spielern die Möglichkeit, in die Perspektive einer Enkelin zu schlüpfen, die ihre Großmutter nach der Familiengeschichte befragt. Die großmütterlichen Erinnerungen sind oft bruchstückhaft und beruhen auf Verdrängung, was die Spieler herausfordert, die oft beschwiegenen und verfälschten historischen Narrative zu hinterfragen. Gedenkstättenleiterin Sylvia de Pasquale hebt hervor, dass das Spiel den Fokus von einer rein historischen auf eine transgenerationale Erinnerungsarbeit verschiebt. Lena Altman von der Alfred Landecker Foundation betont zusätzlich die Notwendigkeit aktiver Formate zur Holocaust-Erinnerung.
Kontext und Forschung
Im Kontext dieser Entwicklungen fand im Juni 2023 eine bedeutende Tagung des Arbeitskreises zur Erforschung der NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation in Berlin statt. Diese Konferenz, die vom GeDenkOrt.Charité und dem Förderkreis Gedenkort T4 e.V. organisiert wurde, feierte das 40-jährige Bestehen des Arbeitskreises. Das Leitthema der Tagung lautete: „Medizinische Wissenschaft im Nationalsozialismus und Erinnerungskultur“, wobei neue Forschungsergebnisse zur „Aktion T4“ präsentiert wurden.
In der Veranstaltung wurden verschiedene Vorträge gehalten, darunter die Diskussion um die Herausforderungen, die die medizinische Ethik am Lebensende aufwirft. Dmytro Tytarenko thematisierte dabei das kollektive Gedenken in der Ukraine, während Thomas Künneke über die Einbindung von Menschen mit Behinderungen in die Erinnerungsarbeit sprach.
Die Grauen der Euthanasie
Das Euthanasieprogramm, das ab 1939 in Deutschland durchgesetzt wurde, führte zur systematischen Tötung von Menschen mit Behinderungen. Als „lebensunwertes Leben“ abgestempelt, wurden diese Menschen als genetische und finanzielle Belastung gesehen. Ein geheimes Kinder-Euthanasieprogramm, das von Philipp Bouhler und Karl Brandt geleitet wurde, sorgte bereits 1939 für den Tod von mindestens 10.000 Kindern mit schweren Behinderungen.
Die „Aktion T4“ erweiterte dieses Programm auf erwachsene Menschen mit Behinderungen. Adolf Hitler erließ eine Geheimvollmacht, die die Strafverfolgung und den Schutz für beteiligte Ärzte regelte. Sechs Vergasungsstätten wurden in Deutschland eingerichtet, in denen Menschen durch Kohlenmonoxidgas in als Duschräume getarnten Gaskammern ermordet wurden. Historische Schätzungen belaufen sich auf etwa 250.000 Opfer, während im besetzten Osten Menschen mit Behinderungen ebenfalls von den SS und der Polizei getötet wurden.
Mit dem digitalen Spiel „Meine Oma (88)“ wird ein neuer Ansatz zur Auseinandersetzung mit diesen Verbrechen verfolgt. Es soll dazu dienen, die transgenerationalen Folgen des Nationalsozialismus aufzuzeigen und in die Erinnerungskultur einzubinden. So könnte das Gedenken an die Opfer nicht nur zur historischen Reflexion führen, sondern auch zur kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte anregen.
Die digitale Erinnerung wird somit nicht nur zu einem Bildungswerkzeug, sondern auch zu einem Mittel, um in den komplexen narrativen Strukturen der Familiengeschichten nach den dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte zu suchen und diese zur Sprache zu bringen.