
Ein aktuelles Verfahren der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) könnte gravierende Auswirkungen auf die Nutzung von Ethanol haben, insbesondere als Desinfektionsmittel. Der Verband der Chemischen Industrie in Deutschland (VCI) äußert erhebliche Bedenken über eine geplante Neubewertung von Ethanol hinsichtlich seiner Gesundheitsrisiken. Hintergrund ist ein Vorschlag des zuständigen Prüfamtes in Griechenland, Ethanol in die Gefahrenkategorien 1 oder 2 hochzustufen, aufgrund seiner CMR-Eigenschaften, die als krebserzeugend, erbgutverändernd und fruchtschädigend gelten. Dies könnte nicht nur die Verwendung von Ethanol als bioziden Wirkstoff beeinträchtigen, sondern auch als Lösungs- und Lebensmittelinhaltsstoff.
Die Chemiebranche befürchtet, dass der Einsatz von Ethanol als Desinfektionsmittel ins Wanken geraten könnte. So könnte ein Verbot dieses bewährten Mittels verhängt werden. Eine öffentliche Konsultation zu möglichen Alternativen läuft derzeit bis Ende April. In diesem Kontext fordert die Chemieindustrie, den Automatismus der Einstufung zu stoppen, um unverhältnismäßige Auswirkungen zu vermeiden. Ein Abschluss des EU-Verfahrens wird für dieses Jahr erwartet.
Bedenken der Gesundheitsverbände
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt vor den dramatischen Konsequenzen der Einstufung. Ethanol ist ein zentraler Bestandteil vieler Desinfektionsmittel in Krankenhäusern und Arztpraxen. KBV-Vizechef Stephan Hofmeister hebt hervor, dass Ethanol in Desinfektionsmitteln meistens vergällt wird, um ihn ungenießbar zu machen. Zudem haben 14 Verbände der Gesundheitswirtschaft, darunter Progenerika, vor den möglichen Folgen für den Infektionsschutz und die Arzneimittelproduktion gewarnt.
Einige der wichtigsten medizinischen Verbände, wie die Deutsche Gesellschaft für Allgemeine und Krankenhaus-Hygiene (DGKH) und die Bundeszahnärztekammer, unterstützen diese Bedenken. DGKH bezeichnet Ethanol als „alternativlos“ in seiner Wirksamkeit bei der Bekämpfung von Viren und Bakterien, insbesondere in Bezug auf gefährdete Patientengruppen. Konstantin von Laffert, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, betont die Unverzichtbarkeit von Ethanol für den Schutz vulnerabler Patienten.
Politische Reaktionen und die künftige Auswirkung
Kritiker der möglichen Einstufung weisen darauf hin, dass bei der Gefahrenbewertung vor allem Daten zur oralen Aufnahme von Ethanol herangezogen werden. Die Verwendung in der medizinischen Anwendung wird dabei nicht ausreichend berücksichtigt. Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP im EU-Parlament, hat ein Verbot von Alkohol in Desinfektionsmitteln abgelehnt. Auch SPD-Gesundheitspolitiker Tiemo Wölken bezeichnet die Diskussion über ein drohendes Verbot als verfrüht und ist optimistisch, dass die ECHA die Bedeutung von Ethanol in der Gesundheitswirtschaft anerkennen wird.
Eine negative Beurteilung durch die ECHA bedeutet jedoch nicht zwangsläufig ein Verbot. Die letztendliche Entscheidung liegt bei der EU-Kommission. In Deutschland sind alkoholische Händedesinfektionsmittel seit den 1950er-Jahren Teil des Standards und befinden sich weltweit im Einsatz. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt Ethanol sogar als eines der unverzichtbaren Arzneimittel auf, da es in vielen Fällen besser gegen bestimmte Viren wirkt als alternative Stoffe, wie Propanole.
Wie sich die Situation weiter entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Die kommenden Monate sind entscheidend für die Zukunft des ethnolbasierten Desinfektionsmittels in der Gesundheitsversorgung. Eine Einigung und das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Ethanol in kritischen Anwendungsbereichen könnten möglicherweise neue Entwicklungen im Genehmigungsprozess anstoßen.
Mehr Informationen zu diesem Thema finden Sie in den Berichten von MDR, VFA und RND.