
In der Universitätsbibliothek der TU Ilmenau findet vom 4. Februar bis 27. März 2024 eine beeindruckende Ausstellung unter dem Titel „Nach Brasilien! Hintergründe und Spurensuche zu einer Dorftragödie von Böhlen 1852“ statt. Diese Ausstellung, die auf die Zwangsaussiedlung von 152 Bürgern aus dem thüringischen Dorf Böhlen hinweist, birgt tiefgehende historische und emotionale Einblicke.
Die Autoren der Ausstellung, Dieter Lange und Hans-Günther Schneider, haben seit 1997 an der Aufarbeitung dieser tragischen Episode gearbeitet. Sie werden bei der Vernissage am 4. Februar 2024 um 18 Uhr vorgestellt. Der Hintergrund dieser Zwangsaussiedlung ist stark geprägt von den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Deutschland vor und nach der Deutschen Revolution von 1848/49. Die Industrialisierung führte zu einem Verlust der Existenzgrundlage für viele Kleinhandwerker, besonders für die Weber in Böhlen, was die Auswanderung nach Brasilien notwendig machte.
Spurensuche und historische Kontexte
Begleitend zur Ausstellung wird ein filmischer Einblick in die Geschehnisse geben. Der Dokumentarfilm „Bei den Kaffeepflückern in Brasilien“ von Gerald Backhaus wird am 4. Februar um 21 Uhr im Helmholtz-Hörsaal gezeigt. Weitere Veranstaltungen während der Eröffnungswoche bieten ein kulinarisches und musikalisches brasilianisches Programm und laden dazu ein, die Kultur der neuen Heimat zu erkunden.
Im Rahmen des Projekts „Spurensuche in Santa Catarina, Brasilien“, das sich ebenfalls mit den Schicksalen der Deutsch-Brasilianer beschäftigt, wurden die Auswirkungen der Abschiebung eingehend untersucht. Hierbei wurden die Erlebnisse der nach Brasilien vertriebenen Personen dargestellt, die oft als „vergessen, verhasst, verehrt“ in die Geschichte eingegangen sind. Ein Teil der Spurensuche fand im März und April 2002 statt, wobei Nachkommen der Böhlener getroffen wurden und wertvolle Informationen gesammelt werden konnten. Der Forscher und Historiker Hans-Günther Schneider betont, dass die umfassende Analyse erst kürzlich eine vollständige Namens- und Datenliste der Auswanderer hervorbrachte.
Die Ausstellung in Ilmenau verbindet somit Geschichte mit persönlicher Betroffenheit. Sie stellt die Frage nach der Identität und dem Leben der Auswanderer, die oft durch Konflikte und tumultartige Ereignisse geprägt waren. Eine kritische Analyse von Auswanderbriefen wird ebenfalls Bestandteil des Projektes sein. Zudem soll eine öffentliche Diskussion über diese bedeutende Episode der Ortsgeschichte angestoßen werden.
Deutsche Einwanderung nach Brasilien
Der historische Kontext dieser Zwangsumsiedlung reiht sich in die Wellen deutscher Einwanderung nach Brasilien ein. Von den ersten Einwanderern im 19. Jahrhundert bis zu den heutigen Nachfahren ziehen sich Erzählungen über Entbehrungen und Chancen durch die Geschichte. Etwa 10 Prozent der Brasilianer haben deutsche Vorfahren, die meist aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Probleme in Europa nach Brasilien emigrierten, um ein neues Leben zu beginnen.
Die ersten großen Einwanderungswellen begannen in den 1820er Jahren und waren oft durch wirtschaftliche Notlagen, Missernten und die generelle Suche nach besseren Lebensbedingungen motiviert. Viele deutsche Auswanderer fanden in Brasilien neue Heimatstätten, wie etwa in Blumenau, leiteten neue Entwicklungen ein und hinterließen bedeutende kulturelle Spuren.
Die bevorstehende Ausstellung in Ilmenau und das begleitende Programm laden dazu ein, nicht nur die spezifische Geschichte Böhlens und seiner Bürger zu erforschen, sondern auch das reiche Erbe der deutschen Einwanderung in Brasilien zu reflektieren und die Herausforderungen sowie Errungenschaften nachzuvollziehen.
Für weitere Informationen steht Milena Pfafferott von der Universitätsbibliothek Ilmenau unter +49 3677 69-4605 zur Verfügung oder per E-Mail unter milena.pfafferott@tu-ilmenau.de.
Die Ausstellung ist für alle Interessierten montags bis samstags geöffnet und der Eintritt ist frei. Ein Besuch lohnt sich, um in die bewegte Geschichte einzutauchen.