
Die Debatte um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hat in Deutschland an Schärfe gewonnen, nachdem Allianz-Chef Oliver Bäte vorgeschlagen hat, die Zahlungen erst nach einem sogenannten Karenztag zu beginnen. Dies würde die Arbeitgeber erheblich entlasten und könnte nach Bätes Schätzungen jährlich bis zu 40 Milliarden Euro einsparen. Die Idee, die in der politischen Arena aufgemischt wird, ist jedoch umstritten und wird von verschiedenen Akteuren scharf kritisiert.
Insbesondere der CDU-Sozialflügel hat sich vehement gegen diese Vorschläge gewehrt. Dennis Radtke, der Vorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), bezeichnete Bätes Gedanken als inakzeptabel und als Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Arbeitnehmern. Radtke warnte vor den sozialen Folgen, die besonders Menschen mit kleinen Einkommen betreffen könnten, da diese möglicherweise gezwungen wären, krank zur Arbeit zu gehen. Stattdessen plädiert er für Einsparungen durch Maßnahmen wie Digitalisierung und die Streichung versicherungsfremder Leistungen.
Umfang der Krankmeldungen
Die Debatte wird von den aktuellen Zahlen des Krankenstandes untermauert, die darauf hinweisen, dass Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2023 durchschnittlich 15,1 bis 20 Arbeitstage krankgemeldet waren. Im Vergleich dazu liegt der EU-Durchschnitt nur bei acht Tagen. In Deutschland sind die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, für maximal sechs Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten, nach denen die Krankenkassen Krankengeld zahlen müssen. destatis.de belegt, dass zuletzt ein Anstieg der Krankheitsfälle beobachtet wurde, was möglicherweise auf ausgeprägte Grippe- und Erkältungswellen zurückzuführen ist.
Die Berechnungen zeigen, dass Arbeitgeber in Deutschland jährlich 77 Milliarden Euro für die Gehälter ihrer krankgeschriebenen Mitarbeiter aufwenden, während die Krankenkassen zusätzlich weitere 19 Milliarden Euro leisten. Diese Zahlen spiegeln etwa 6% der gesamten Sozialausgaben in Deutschland wider, im Unterschied zum EU-Durchschnitt von rund 3,5%. Bäte und andere Vertreter aus der Wirtschaft nennen Länder wie Schweden, Spanien und Griechenland als Beispiele für Systeme, die bereits erfolgreich Karenztage implementiert haben.
Kritik und Unterstützung
Der Widerstand gegen die Wiedereinführung von Karenztagen ist stark. Anja Piel, ein Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), argumentiert vehement, dass die Entgeltfortzahlung eine essenzielle soziale Absicherung darstellt. Piel verweist zudem darauf, dass 70% der Beschäftigten angegeben haben, trotz Krankheit zur Arbeit zu erscheinen, was als sogenannter Präsentismus bezeichnet wird und schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich ziehen könnte.
Die politische Reaktion auf Bätes Vorschlag ist gemischt. Während Unionsfraktionsvize Sepp Müller eine offene Diskussion über Karenztage fordert, sieht es Tino Sorge, ebenfalls von der CDU, als notwendig an, einen „Krankenstands-Gipfel“ einzuberufen, um über die Thematik zu diskutieren. Wirtschaftswissenschaftler wie Bernd Raffelhüschen unterstützen hingegen die Idee eines Karenztages, da dieser angeblich keine sozialen Probleme auslösen würde.
Monika Schnitzer, Chefin der Wirtschaftsweisen, hat sich ebenfalls für die Wiedereinführung von Karenztagen ausgesprochen. Der Gedanke ist, dass solche Maßnahmen nicht nur finanzielle Entlastungen für Arbeitgeber bringen, sondern auch die Krankheitskosten langfristig senken könnten.