
Ein kleiner, aber engagierter Buchklub in Fürstenfeldbruck ist zurzeit in einer intensiven Debatte über die Erzählung „Yoga“ von Emmanuel Carrère vertieft. Die fünf Leserinnen, alle zwischen 40 und 44 Jahren und berufstätig, sind sich in ihren Reaktionen uneinig. Während einige von Enttäuschung berichten, zeigen andere ein bemerkenswertes Durchhaltevermögen. Der seit März 2021 bestehende Buchklub wurde während der Herausforderungen der Corona-Pandemie gegründet und hat seither eine beeindruckende Sammlung von 29 gelesenen Werken angelegt.
Die Treffen fanden anfangs virtuell statt, mittlerweile versammeln sich die Frauen regelmäßig in einem Café, wo die gemeinsame Leidenschaft für Literatur und lebhafte Diskussionen aufblühen. Besondere Schwerpunkte dabei sind Thriller, Romane, Biografien und Lebensratgeber. Bücher, die einen Raum für Fantasie und Interpretation eröffnen, stehen im Vordergrund, während wissenschaftliche Literatur und seichte Frauenliteratur nicht auf der Liste stehen.
Vom Buch zur Diskussion
Bei jedem Treffen bringt jede Mitglied zwei Buchempfehlungen mit, aus denen ein Titel ausgelost wird, den die Gruppe innerhalb von sechs bis acht Wochen lesen möchte. Zu den aktuellen Favoriten des Klubs gehören Werke wie „Zwischen Welten“ und „Über Menschen“ von Juli Zeh sowie „Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus. Die Chemie zwischen den fünf Frauen ist gut, und sie hoffen auf viele weitere gemeinsame Leseerlebnisse.
Ein zentraler Punkt der Diskussionen im Buchklub ist der Autor Emmanuel Carrère, der sich seit über 40 Jahren als Schriftsteller, Regisseur und Reporter einen Namen gemacht hat. Er ist bekannt für seine Fähigkeit, Realität mit fiktionalen Elementen zu verbinden und dabei einen scharfen Blick auf die moderne Gesellschaft zu werfen. Carrère schöpft Inspiration aus den Unruhen einer unkontrollierbaren Welt. In seinem ersten Band „Vers le réel – Œuvres choisies I“, der 2023 von Gallimard veröffentlicht wurde, sind Werke aus den Jahren 1981 bis 2016 versammelt. Dieser Band zeigt persönliche Dokumente und Archive auf, die seinen vielseitigen Werdegang darstellen und die verschiedenen „Leben“, die er erlebt oder imaginiert hat.
Ein Blick auf „V13“
Besonders in den letzten Jahren erregte Carrères Arbeit mit dem Roman „V13: une chronique judiciaire“ Aufsehen. Der Titel referiert auf die islamistischen Attentate am 13. November 2015 in Paris, bei denen 130 Menschen getötet und fast 700 verletzt wurden. Der Prozess zu diesen Anschlägen, in dem Salah Abdeslam und weitere Angeklagte vor Gericht standen, zog sich von September 2021 bis Juni 2022 und wird in Carrères Buch begleitet. Als Journalist war Carrère Teil der Presse, die den Prozess intensiv analysierte, und veröffentlichte wöchentliche Kolumnen, die später in diese Chronik mündeten.
In seinen Aufzeichnungen thematisiert Carrère die Perspektiven der Opfer und ihrer Angehörigen. Dabei reflektiert er über die Herausforderungen, die mit dem Leben nach solch traumatischen Ereignissen verbunden sind. Der Autor stellt grundlegende Fragen zu Recht, Gerechtigkeit und Moral, ohne dem Leser eine spezifische Meinung aufzuzwingen. Die Thematik des Terrorismus wird vielschichtig und differenziert beleuchtet und bietet tiefgehende Einblicke.
Die Diskussion über Carrères Erzählungen und die persönliche Verbindung der Buchklubmitglieder zu seinen Werken verdeutlichen, wie Literatur in der Lage ist, nicht nur unterhaltsam zu sein, sondern auch bedeutende gesellschaftliche Themen aufzugreifen und zu reflektieren.
Das literarische Engagement der Frauen in Fürstenfeldbruck spiegelt wider, wie stark Geschichten – insbesondere die von Autoren wie Carrère – verbinden und zum Nachdenken anregen können.