
In den letzten Wochen hat die Diskussion über Missstände im deutschen Turnen an Intensität gewonnen. Spitzenathletin Pauline Schäfer-Betz hat erhebliche Vorwürfe gegen das System erhoben, das ihrer Meinung nach die Verantwortlichen am Bundesstützpunkt Stuttgart schützt und echte Veränderungen verhindert. Wie der Weser-Kurier berichtet, äußerte sie, dass es ein „wiederholtes systematisches Versagen“ gebe, das nicht länger ignoriert werden könne. Ihre Erfahrungen spiegeln die Berichte anderer Athletinnen wider, die ähnliche Probleme ansprechen.
Schäfer-Betz bezog sich auch auf die ehemaligen Vorwürfe gegen die Trainerin Gabriele Frehse, die im Jahr 2020 von Sportlerinnen aus Chemnitz des Missbrauchs bezichtigt wurde, darunter das unrechtmäßige Verabreichen von Medikamenten und systematische Schikane. Während Frehse die Vorwürfe stets bestritt, führte die öffentliche Aufmerksamkeit letztlich zur Beendigung ihrer Zusammenarbeit mit dem Deutschen Turner-Bund (DTB). Trotz dieser schweren Vorwürfe wurde sie nach einem Rechtsstreit um ihre Kündigung zur Auswahltrainerin der Frauen in Österreich ernannt, was die Enttäuschung vieler Athletinnen zusätzlich verstärkte.
Erfahrungen der Athletinnen
Die Schilderungen von Schäfer-Betz sind nicht isoliert. Auch die ehemalige Turnerin Kim Janas hat auf Instagram von ihren belastenden Erfahrungen berichtet. Wie aus einem Artikel der Zeit hervorgeht, litt sie unter dem enormen Druck bezüglich Ernährung und Gewicht. Nach drei Kreuzbandrissen beendete sie 2016 ihre Karriere, doch die psychischen Narben aus dieser Zeit sind bis heute präsent. Janas berichtete von einem täglichen Wiegen und Kontrollen auf Süßigkeiten, während Lebensmittel wie Brot und Wurst nicht erlaubt waren.
Der Druck, der auf Turnerinnen ausgeübt wird, sei nicht nur körperlich, sondern auch psychisch katastrophal. Janas stellte fest, dass sie als „dick“ bezeichnet wurde, obwohl sie nur neun Prozent Körperfett hatte. Diese Erfahrungen bestätigen die Berichte von anderen Athletinnen, darunter auch Tabea Alt und Michelle Timm, die ebenfalls die Missstände am Stützpunkt Stuttgart thematisierten.
Reaktionen und Maßnahmen
In Reaktion auf die Vorwürfe haben der DTB und der Schwäbische Turnerbund eine Untersuchung angekündigt. Zwei Übungsleiter wurden bereits vorläufig freigestellt, und die Organisationen stehen unter dem Druck, substantielle Reformen einzuleiten. Schäfer-Betz betonte, dass die bisherigen Maßnahmen unzureichend seien und ein tiefgreifender Wandel dringend erforderlich ist. Ihre Anklage lautet, dass Warnungen der Athletinnen nicht ernst genommen wurden und das System nach wie vor dysfunktional sei.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat ebenfalls auf die Problematik reagiert. Aufgrund der aktuellen Berichte über Gewalterfahrungen im Leistungssport hat der DOSB Initiativen wie „Safe Sport“ ins Leben gerufen, um Gewalt und Missbrauch zu regulieren. Diese neue Regelung soll sicherstellen, dass Athleten aller Altersgruppen vor Missbrauch geschützt werden. Es werden auch Unterstützungssysteme eingeführt, die es den Betroffenen ermöglichen, ihre Erfahrungen anonym zu melden.
Die Herausforderungen, vor denen der deutsche Sport steht, sind erheblich. Die Erfahrungen der Turnerinnen verdeutlichen die Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen und besseren Strukturen. Der Weg zu Veränderungen wird schwierig, doch es ist unerlässlich, dass die Stimmen der Athletinnen gehört werden, um eine Kultur des Respekts und der Sicherheit im Sport zu etablieren.
Die Berichterstattung über diese Situationen ist ein wichtiger Schritt zur Aufdeckung systematischer Missstände. Die Athletinnen, die bereit sind, ihre Geschichten zu teilen, können letztlich einen Wandlungsprozess in Gang setzen, der dringend notwendig ist. Der DTB hat viel zu tun, um das Vertrauen der Sportler und der Öffentlichkeit zurückzugewinnen.
Wie der Weser-Kurier feststellt, könnte dieser Prozess jedoch langwierig sein. In den kommenden Monaten wird entscheidend sein, wie die Verantwortlichen auf die Vorwürfe reagieren und welche Strukturreformen tatsächlich umgesetzt werden.