
Am 6. Februar 2025, zwei Jahre nach den verheerenden Erdbeben im Südosten der Türkei, steht die Regierung unter Präsident Erdogan im Fokus der Kritik. Trotz der behaupteten Fortschritte im Wiederaufbau sind viele Betroffene besorgt über die Art und Weise, wie dieser Prozess gestaltet wurde. In Kahramanmaras, dem Epizentrum des Erdbebens, sind mittlerweile neue vierstöckige Wohnhäuser errichtet worden. Doch der Vorsitzende der Architektenkammer der Stadt, Yunus Emre Kacamaz, berichtet von einem viel zu schnellen Bauprozess, der ohne ausreichende Rücksicht auf die Bedürfnisse der Menschen stattfand. Während Erdogan den Wiederaufbau als die „größte Baustelle der Welt“ bezeichnet, äußern Kritiker Bedenken hinsichtlich fehlender Verantwortung und der mangelnden Inklusion der Betroffenen.
Im Kontext der katastrophalen Ereignisse zeigt eine aktuelle Bilanz, dass die Zahl der Todesopfer sowohl in der Türkei als auch in Syrien über 3000 liegt. Laut der Katastrophenschutzbehörde AFAD sind in der Türkei 1762 Menschen ums Leben gekommen, und mehr als 15.000 wurden verletzt. In Adiyaman, wo ein Drittel der Gebäude dem Erdbeben zum Opfer fiel, stehen die Bewohner vor der Herausforderung, in einem unsicheren Wiederaufbauumfeld zu leben. Hanim, eine Anwohnerin, berichtete über ihre neue, mietfreie Wohnung, hat aber bereits Bedenken hinsichtlich zukünftiger Mietzahlungen.
Das Trauma bleibt
Die Menschen in den betroffenen Regionen sind nach wie vor mit den Nachwirkungen des Erdbebens konfrontiert. Demonstrationen in Hatay, einer Hochburg der Opposition, verdeutlichen die Frustration vieler Bürger über die ineffiziente Hilfe und die chaotischen Rettungseinsätze. In der Stadt ist die Große Moschee eingestürzt, und der Wiederaufbau hat bereits begonnen, wobei historische Steine zur Restaurierung verwendet werden. Bischof Gregorios Melki Ürek überwacht den Wiederaufbau der syrisch-orthodoxen Kirche in Adiyaman, eine Herausforderung, die die kulturelle Identität der Region ebenfalls stark beeinflusst.
Die Hilfsorganisationen haben betont, dass viele Menschen in der Region von der Kälte und den beschädigten Gebäuden bedroht sind. Es gibt Berichte über nach wie vor eingestürzte Gebäude, unter denen sich auch ein Krankenhaus in Iskenderun befindet. Die AFAD hat die Bevölkerung aufgefordert, von beschädigten Gebäuden fernzubleiben, da weitere Nachbeben erwartet werden. In diesem Kontext ist der Gedanke an zukünftige Erdbeben vor allem in Istanbul allen Anwohnern präsent, was das Trauma nur verstärkt.
Wissenschaftliche Perspektiven und Verbesserungspotenziale
Parallel zu diesen Herausforderungen analysieren Forschende der Technischen Universität Darmstadt den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen. Das Forschungsprojekt „Build Back Better!“ hat zum Ziel, Fehler aus der Vergangenheit zu vermeiden und die Prinzipien des Wiederaufbaus zu optimieren. Der Projektleiter Professor Nicolai Hannig betont, dass gerade die Einbindung derjenigen, die von den Katastrophen betroffen sind, von wesentlicher Bedeutung sei.
Die Forschungsaktivitäten könnten entscheidend dazu beitragen, die Lebensbedingungen für die ärmsten Bevölkerungsschichten zu verbessern, die oft in Risikogebieten leben. Historiker und andere Fachleute untersuchen die kulturellen Auswirkungen der Naturkatastrophen sowie die Nutzung von Notunterkünften, welche oft länger benötigt werden als ursprünglich geplant und den Wiederaufbauprozess verzögern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Wiederaufbau in der Türkei und Syrien eine komplexe und vielschichtige Herausforderung darstellt. Während der Bau neuer Wohnungen voranschreitet, bleibt das Trauma in der Bevölkerung spürbar, und wirft Fragen nach der Verantwortung und der sozialen Gerechtigkeit auf.