
Am 6. Februar 2025, zwei Jahre nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei, wohnen noch immer 648.886 Menschen in Notunterkünften aus Containern. Diese Zahl, die von der Türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad berichtet wird, zeigt die langsame Fortschrittlichkeit im Wiederaufbau nach der Katastrophe, die am 6. Februar 2023 mit zwei Erdbeben der Stärken 7,7 und 7,6 in einem Gebiet von der Größe Griechenlands begann. Über 53.737 Menschen verloren bei diesen Beben ihr Leben, während 107.213 weitere verletzt wurden. Rund 40.000 Gebäude stürzten ein und 220.000 wurden schwer beschädigt, was die Regierung unter Druck setzt, effektive Lösungen zu finden.
Die türkische Regierung, unter der Leitung von Präsident Erdoğan, propagiert den Wiederaufbau als „größte Baustelle der Welt“. Viele an den Zerstörungen Betroffenen warten jedoch weiterhin auf dringend benötigte Wohnungen und Infrastruktur. Nur 31% der versprochenen neuen Unterkünfte sind bis jetzt fertiggestellt, obwohl 182.000 Arbeiter auf 1.900 Baustellen in der gesamten Region tätig sind. Orhan Tatar von Afad berichtet, dass insgesamt 450.000 neue Häuser benötigt werden, von denen bereits 201.000 erbaut wurden. Kritiker des Wiederaufbaus bemängeln jedoch die mangelnde Verantwortlichkeit der Regierung und den wenig inklusiven Prozess.
Herausforderungen und Kritik am Wiederaufbau
In Kahramanmaras, dem Epizentrum der Zerstörung, entstehen zwar schnell neue vierstöckige Wohnhäuser, doch viele Stimmen sind besorgt über die Qualität der neuen Bauten. Der Vorsitzende der Architektenkammer in Kahramanmaras, Yunus Emre Kacamaz, warnt vor einem schnellen Bauprozess ohne grundlegende Prinzipien. Dies könnte zu Baumängeln führen, die in Anbetracht der hohen Opferzahlen, die auf mangelhafte Bauqualität zurückgeführt werden, wenig Vertrauen schaffen.
Die Katastrophenrisiken sind weiterhin hoch. Experten warnen vor der Gefahr eines weiteren starken Erdbebens in Istanbul, das wahrscheinlich verheerende Auswirkungen haben könnte. Schätzungen zufolge besteht bis 2030 eine 60%ige Wahrscheinlichkeit für ein Beben mit einer Stärke von über 7. Laut Erdbebenforscher Naci Görür sind in Istanbul stark einsturzgefährdete 100.000 Gebäude identifiziert worden, was die Kluft zwischen der Notwendigkeit dringender Bauarbeiten und der derzeit langsamen Umsetzung verstärkt.
Der menschliche Aspekt der Katastrophe
Das Trauma der Überlebenden bleibt spürbar. Leute wie Hanim in Adiyaman, die in eine neue Wohnung umgezogen sind, äußern jedoch Ängste über zukünftige Mietkosten. In Hatay, einer Hochburg der Opposition, protestieren Zehntausende gegen den langsamen Wiederaufbau und fordern Gerechtigkeit. Demonstrationen fordern auch strengere strafrechtliche Verfolgungen für die Verantwortlichen der unsicheren Gebäude, die während der Erdbeben einkrachen, und zeigen eine allgemeine Frustration über die chaotischen Rettungs- und Hilfsmaßnahmen.
Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt haben sich mit den Lehren aus dem Wiederaufbau beschäftigt. Unter dem Projekt „Build Back Better!“ wird untersucht, wie die Fehler der Vergangenheit vermieden werden können. Durch stärkere Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung in künftige Wiederaufbauprojekte soll auch erreicht werden, dass die Bedürfnisse der am stärksten gefährdeten Gemeinschaften besser berücksichtigt werden, da diese oft in Risikogebieten wohnen.
Insgesamt bleibt die Situation in der Türkei kritisch. Während der Wiederaufbau Fortschritte macht, bleibt der schleichende Druck auf die Regierung, Verantwortung für die am Erdbeben verursachten Zerstörungen und die Zukunft der betroffenen Menschen zu übernehmen. Solange das Trauma und die Angst vor einer weiteren Naturkatastrophe spürbar sind, wird der Weg zur Normalität für viele ein steiniger bleiben.