
Die faszinierenden Verhaltensweisen von Fischschwärmen stehen im Mittelpunkt einer aktuellen Studie, die die Komplexität kollektiven Verhaltens beleuchtet. Wissenschaftler des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie haben eine innovative 3D-Eyetracking-Methode entwickelt, die die Augenbewegungen frei schwimmender Fische automatisiert erfasst. Diese Methode ermöglicht es, das Sehfeld der Fische zu rekonstruiieren, ohne Eingriffe an den Tieren vorzunehmen, was die ethische Dimension der Forschung unterstützt und gleichzeitig präzise Daten liefert.
Die Arbeit zeigt, dass Bewegungen innerhalb eines Fischschwarms nicht zufällig sind. Vielmehr basieren sie auf den Entscheidungen einzelner Fische, die durch ihre Wahrnehmung beeinflusst werden. Um die Regeln des Schwarmverhaltens besser zu verstehen, ist es entscheidend, die Informationen, die jedem Fisch zur Verfügung stehen, zu analysieren. Die Beobachtungen deuten darauf hin, dass Goldfische in der Lage sind, ihre Augenbewegungen anzupassen, um das Bild eines vorausschwimmenden Artgenossen im Zentrum ihrer Netzhaut zu halten. Das Verhalten einer \“negativen Synchronisierung\“ der Augen, bei dem sich die Augen in entgegengesetzte Richtungen bewegen, wirft weitere Fragen auf, die in zukünftigen Experimenten untersucht werden sollen.
Die Parallelen zwischen Fischschwärmen und dem menschlichen Gehirn
Interessanterweise zeigen neue Erkenntnisse, dass das Schwarmverhalten von Fischen Ähnlichkeiten zu den Informationsverarbeitungsmechanismen des menschlichen Gehirns aufweist. Studienleiter Pawel Romanczuk, Professor am Institut für Biologie der HU und Forschungsmitglied im Exzellenzcluster, erläutert, dass das Verhalten von Fischschwärmen in einem kritischen Zustand zwischen Ordnung und Chaos nachhaltig ist. Das Gehirn selbst funktioniert ähnlich, indem es als Netzwerk von etwa 86 Milliarden Neuronen Informationen über Spannungsimpulse verarbeitet.
Ein Beispiel für dieses Verhalten sind die Schwefelmollys, die in Mexiko leben. Sie zeigen komplexe Wellenbewegungen, die wie eine La-Ola-Welle wirken und dazu dienen, angreifende Vögel zu verwirren. Solche Bewegungen unterstreichen die Fähigkeit des Schwarms, Umweltreize effizient zu verarbeiten und in einem dynamischen Informationsaustausch zu reagieren. Die Forschungen in diesem Bereich kombinieren empirische Daten mit mathematischen Modellen und tragen damit zu einem tiefergehenden Verständnis kollektiver Systeme in der Natur bei.
Ein interdisziplinärer Ansatz
Die aktuellen Forschungsarbeiten sind Teil eines größeren Rahmens, der auch soziale Einflüsse auf biologische Prozesse und die Organisation von koordinierten Interaktionen in menschlichen Gesellschaften betrachtet. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit am Center for the Advanced Study of Collective Behaviour an der Universität Konstanz fördert den Austausch zwischen Physik, Informatik, Psychologie und anderen Wissenschaften. Iain Couzin, der das DFG-Exzellenzcluster leitet, wurde als „Highly Cited Researcher“ ausgezeichnet, was seinen Beitrag zur Erforschung des kollektiven Verhaltens über Arten hinweg unterstreicht.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Forschung, wie komplexe Systeme sowohl in der Natur als auch in der menschlichen Gesellschaft entstehen und funktionieren. Die Perspektiven, die sich durch eine tiefere Untersuchung der Schwarmintelligenz ergeben, eröffnen neue Wege zum Verständnis der Evolutionsmechanismen und der kooperativen Fähigkeiten in sozialen Strukturen.