
Im Vorfeld der bevorstehenden polnischen Präsidentschaftswahlen äußerte sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij während eines Besuchs in Warschau besorgt über die geopolitischen Implikationen für Polen und die Ukraine. Er warnte, dass Russland in Polen einmarschieren könnte, sollte die Ukraine nicht Mitglied der EU und NATO werden. Diese Äußerungen stehen im Kontext eines Wahlkampfes, der stark von den Entwicklungen in der Ukraine beeinflusst wird, wie Süddeutsche.de berichtet.
Innerhalb des Wahlkampfes wird die Unterstützung Polens für die Ukraine auch hinterfragt. Karol Nawrocki, Historiker und parteiloser Kandidat der rechtsnationalistischen PiS-Partei, stellt die Ukraine als dankbaren Partner in Frage, merkt jedoch an, dass er in den Umfragen etwa zehn Prozentpunkte hinter Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform liegt. Die PiS-Partei kritisiert die Ukraine wegen mangelnder Kooperation und wirft ihr Undankbarkeit vor. Hierbei spielen historische Spannungen, insbesondere das Wolhynien-Massaker an Polen durch ukrainische Nationalisten während des Zweiten Weltkriegs, eine zentrale Rolle.
Historische Spannungen und aktuelle Unterstützung
Das Wolhynien-Massaker, bei dem zwischen 80.000 und 100.000 Polen von ukrainischen Nationalisten ermordet wurden, sorgt auch heute noch für Emotionen. Polen erwartet von der Ukraine ein Schuldeingeständnis für diese Gräueltaten. Die Ukraine hat jedoch jüngst die Erlaubnis zur Exhumierung der Opfer erteilt, was als Schritt zur Geschichtsbewältigung gesehen werden kann. Während Polen die Ukraine seit Beginn des Krieges unterstützt hat, wird die Geschichte um das Massaker als Ausnahme in der „osteuropäischen Brüderlichkeit“ betrachtet, wie die Berliner Zeitung berichtet.
Polen hat sich rasch zu einem Einwanderungsland entwickelt, insbesondere seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine. Über 3 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit leben jetzt in Polen, wobei die Mehrheit aus der Ukraine stammt. Diese Migrationsbewegung hat sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 weiter beschleunigt. Die geschätzte Zahl der geflüchteten Ukrainer in Polen lag Berichten zufolge am 20. Oktober 2023 bei 958.935, die mit einem vorübergehenden Schutzstatus registriert sind, so die Bundeszentrale für politische Bildung.
Integrationsherausforderungen und gesellschaftliche Stimmung
Die ukrainischen Flüchtlinge haben aufgrund der offenen Grenzen und der gesellschaftlichen Solidarität in Polen einen vergleichsweise sicheren Hafen gefunden. Allerdings gibt es zahlreiche Herausforderungen in der Integration. Vielen Flüchtlingen fehlt ein langfristiger Aufenthaltsstatus und die Möglichkeiten der Integration in den Arbeitsmarkt sind eingeschränkt. Zudem haben 70% der geflüchteten Ukrainer, die nach einem Jahr arbeitend registriert waren, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und begegnen einem Mangel an Integrationshilfen.
Erstaunlicherweise hat sich die öffentliche Meinung über Ukrainer in Polen seit den 1990er Jahren verbessert. Laut aktueller Umfragen haben 51% der Polen eine positive Sicht auf Ukrainer, obwohl die Unterstützung für die Aufnahme von Flüchtlingen von 94% im März 2022 auf 78% im Januar 2023 gesunken ist. Währenddessen hat die rechtsextreme Konfederacja Partei bei den Wahlen 2023 Unterstützung erhalten, jedoch nur 7% erreicht, was auf eine gewisse Stabilität im gesellschaftlichen Konsens hindeutet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Polen vor der Herausforderung steht, sowohl historische Spannungen zu klären als auch die Integration der großen Zahl an ukrainischen Flüchtlingen zu bewältigen. Der Verlauf der Wahlen könnte dabei entscheidend darüber bestimmen, wie sich die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine in der Zukunft entwickeln werden.