
Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu wird mit schweren Vorwürfen konfrontiert, die ihn in eine prekäre rechtliche Lage versetzen. Der Staatsanwaltschaft zufolge droht İmamoğlu, der der Republikanischen Volkspartei (CHP) angehört, eine Haftstrafe von über sieben Jahren. Die Anklageschrift basiert auf mutmaßlichen Vergehen wie der öffentlichen Beleidigung eines Amtsträgers und Bedrohung, insbesondere in Zusammenhang mit Äußerungen, die er über den Generalstaatsanwalt gemacht hat. In einer Rede im Januar beschuldigte er diesen, Angst in der Bevölkerung zu schüren, was die Staatsanwaltschaft als Grund für ihre Ermittlungen herangezogen hat. Der Tagesspiegel berichtet, dass İmamoğlu als potenzieller Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan in künftigen Wahlen gilt.
Die rechtlichen Probleme İmamoğlus sind nicht die einzigen, die in diesem politisch aufgeladenen Klima die öffentliche Wahrnehmung der türkischen Justiz beeinflussen. Er selbst macht die aktuelle Situation für eine Schikane durch die Justiz verantwortlich, was er laut einem Bericht des Spiegel betont hat. Gegen ihn laufen zudem weitere Verfahren, die ihm ebenfalls ein Politikverbot einbringen könnten, was die Besorgnis über die Unabhängigkeit und Fairness des türkischen Rechtssystems verstärkt.
Die politische Instrumentalisierung der Justiz
Die Probleme, mit denen die türkische Justiz konfrontiert ist, sind tief verwurzelt und gehen über die individuellen Fälle hinaus. Laut einem umfassenden Überblick der Bundeszentrale für politische Bildung zeigen zahlreiche Beispiele, wie die Justiz instrumentalisiert wird, um politische Gegner zu verfolgen. Das strukturelle Problem der türkischen Justiz ist die Tatsache, dass die Unabhängigkeit der Richter und Gerichte nicht gewährleistet ist. Seit der Gründung der Republik gab es einen signifikanten Einfluss der Exekutive auf das Justizsystem.
Ein illustratives Beispiel für diesen Missbrauch ist der Fall des Unternehmers Osman Kavala, der seit über fünf Jahren in Haft sitzt, beschuldigt der Unterstützung der Gezi-Proteste und des Putschversuchs. Trotz Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die seine Freilassung forderten, dauert die Inhaftierung an. Ähnlich ist die Situation des ehemaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş, dessen Haft ebenfalls trotz internationaler Aufrufe nicht aufgehoben wurde.
Die aktuelle Situation im Kontext
İmamoğlus Fall ist demnach Teil eines größeren Trends, der die politischen Spannungen in der Türkei widerspiegelt. Die Verfolgung politischer Gegner und die Kontrolle über die Justiz zeugen von einer systematischen Erosion demokratischer Prinzipien. Der Einführung eines Präsidialsystems im Jahr 2017, das dem Präsidenten umfangreiche Kontrolle über die Justiz einräumt, hat die Situation weiter verschärft. Die Entscheidungsträger der Justiz sind oft handverlesen und loyal zur Regierung, was Fragen nach der Rechtmäßigkeit von Urteilen aufwirft.
Insgesamt steht das Land vor einer kritischen Phase, in der die politischen und rechtlichen Herausforderungen sich gegenseitig verstärken. İmamoğlus Auseinandersetzung mit der Justiz könnte nicht nur sein politisches Schicksal beeinflussen, sondern auch die künftige Ausrichtung der türkischen Demokratie im Allgemeinen.