
In Berlin-Kreuzberg versammelten sich heute Menschen vor einer mongolischen Jurte. Sie warteten auf die letzte Erzählveranstaltung der Amerika-Gedenkbibliothek, die am Weltgeschichtentag stattfand. Der Anlass könnte nicht tragischer sein: Ab dem 1. April 2025 wird das beliebte Programm „Erzählzeit“ gestrichen, wie zahlreiche Programmbroschüren mit den neongrünen Streifen klar machen. Das Programm, seit 17 Jahren eine feste Größe der kulturellen Bildung an Schulen, Kitas und in Bibliotheken, steht vor dem Aus.
Die künstlerische Leiterin von „Erzählzeit“, Sabine Kolbe, brachte ihre Bestürzung zum Ausdruck: „Wir sind sprachlos – auf null gesetzt.“ Bei der letzten Veranstaltung unterhielten fünf Erzählerinnen das Publikum mit Geschichten, in denen Mimik, Gestik und Papier-Requisiten zum Einsatz kamen. Eine der Geschichten handelte von einem König, der das Erzählen verbieten wollte, und einem Hahn, der ihn dazu brachte, es wieder zu erlauben.
Kürzungen gefährden kulturelle Bildung
Sinnbildlich für die gegenwärtige Kulturkrise ist die finanzielle Situation des Berliner Senats. Auf einem Minus von etwa 18 Prozent im Haushalt für 2023 basierend, kündigte die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie die vollständige Streichung der Fördermittel für „Erzählzeit“ an, und das mit nur sechs Wochen Vorlaufzeit. Diese Kürzungen könnten nicht nur „Erzählzeit“ das Aus bedeuten, sondern auch große Teile der kulturellen Bildungslandschaft Berlins nachhaltig und teilweise unwiderruflich gefährden, berichtete die Initiative Kulturelle Bildung stärken!.
Die Folgen der Einsparungen sind bereits heute spürbar. Projekte leiden unter stagnierenden Förderungen, was faktisch zu Kürzungen führt, da die Kosten für Personal, Materialien und Mieten kontinuierlich steigen. Mitarbeiter*innen und freie Künstler*innen sehen sich existenziellen Bedrohungen ausgesetzt. Viele Programme, die bereits Jahre der wertvollen Arbeit in Schulen und Kitas geleistet haben, könnten ihre Aufträge nicht mehr erfüllen.
Volker Heller, Direktor der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), äußerte sich ebenfalls besorgt über die finanziellen Einschnitte. So muss die ZLB mit 2,2 Millionen Euro weniger als zuvor auskommen. Heller kritisierte den „brutalen Prozess“ der Haushaltskürzungen, der ohne fachliche Beteiligung und ohne ausreichende Kommunikation ablief. Zusätzlich wird im Kulturbereich für die Jahre 2026/2027 ein weiterer Einschnitt von 150 Millionen Euro erwartet, wie der kulturpolitische Sprecher Daniel Wesener erklärt.
Eine brutale Realität für die Kulturszene
Kultur spielt eine entscheidende Rolle in der Identität Berlins. Die Stadt ist nicht nur für ihre Kunstszene bekannt, sondern auch als touristischer Magnet. Dennoch stehen viele Institutionen am Abgrund. Kürzungen im Kulturetat, wie die geplanten Einsparungen von 20 Prozent, die das „Werkbundarchiv – Museum der Dinge“ betreffen, könnten die Durchführung von Ausstellungen und Veranstaltungen stark einschränken. Künstler und Kulturschaffende warnen vor dem Verlust ihrer unabhängigen Räume und dem potenziellen Abzug internationaler Künstler, die Berlins kulturellen Ruf gefährden würden, berichtet die Tagesschau.
Die Situation ist alarmierend. Die Regierende Bürgermeisterin Kai Wegner und Kultursenator Joe Chialo betonen die Notwendigkeit der Einsparungen, fordern jedoch auch mehr Eigeninitiative von der Kunstszene. Künstler wie Mark Pringle warnen davor, dass zu starke Kürzungen nicht nur die kulturelle Vielfalt, sondern auch die wirtschaftliche Attraktivität Berlins gefährden.
Der Schock und die Wut über die Streichungen in der kulturellen Bildung sind spürbar. Zahlreiche Stimmen aus der Kulturszene rufen dazu auf, die Programme zu sichern und die Kürzungen zu stoppen, um die wertvolle Arbeit im Bereich der kulturellen Bildung nicht zu gefährden.