
Am 1. April 2025 wurde das Forschungsprojekt „Europäische Zeiten/European Times – A Transregional Approach to the Societies of Central and Eastern Europe“ (EUTIM) in Potsdam und umgebenden Institutionen vorgestellt. Das Projekt, das seit April 2021 läuft, wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit etwa 1,7 Millionen Euro in den ersten drei Jahren. Es zielt darauf ab, Zeit- und Raumnarrative in Mittel- und Osteuropa zu untersuchen, wobei besondere Aufmerksamkeit den kulturellen Auswirkungen unterschiedlicher Zeitvorstellungen geschenkt wird. Die Universität Potsdam berichtet, dass das Projekt nun in die zweite Förderphase gestartet ist und mit neuen Ansätzen aufwartet.
Professor Dr. Alexander Wöll, der Leiter des Potsdamer Teils des Projekts, erläuterte im Interview, dass die Diskussion über Zeitvorstellungen historisch betrachtet seit der Aufklärung von Bedeutung ist. Historiker wie Larry Wolff haben in seinen Werken, etwa „Inventing Eastern Europe“, die Kategorie der östlichen Länder als „unaufgeklärt“ hinterfragt. Diese Kategorisierungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Wahrnehmung und das Verständnis von Raum und Zeit in der Region.
Historische Kontexte und kulturelle Narrative
Ein besonders interessantes Thema innerhalb des Projekts ist die Betrachtung Russlands und seiner geografischen Einordnung. Russland wird oft als Land des Nordens betrachtet, während der Osten als nichteuropäisch eingestuft wird. Alternative Zeitsysteme, wie sie in der österreichischen Tradition entstanden sind, wurden historisch als primitiv abgewertet. Die Revolution von 1917 führte zur Einführung einer Fünf-Tage-Arbeitswoche und zur Abschaffung des christlichen Ruhetages, was einen weiteren Bruch in der Zeitwahrnehmung markierte.
Das Projekt nutzt Literatur zur Veranschaulichung dieser Themen. Werke von Autoren wie Sofia Andruchowytsch, deren Roman „Amadoka“ die Themen Traumatisierung durch Krieg und identitätsstiftende Erinnerung behandelt, sowie weitere Schriftsteller wie Ija Kiva und Daryna Gladun, ermöglichen einen tiefen Einblick in die kulturellen Narrationen der Region.
Ergebnisse und zukünftige Perspektiven
Die Erfolge des Projektes sind bereits greifbar. So wurde Postdoc Bohdan Tokarsky zum Professor an der Universität Harvard berufen, während Daryna Gladun nicht nur mehrere Stellen an verschiedenen Institutionen erhielt, sondern auch ihren Gedichtband für 2024 ankündigte. Der Doktorand Fabian Erlenmaier hat zudem die Möglichkeit, sein Thema auf Fachtagungen zu diskutieren, was die Sichtbarkeit der osteuropabezogenen Regionalstudien stärkt.
Ein zukunftsweisendes Ziel des Projekts ist die Unterstützung junger Talente, insbesondere aus der Ukraine, seit dem Beginn des Projektes im Jahr 2022. Zudem sind neue Themen wie die Lebensgeschichten queerer Künstler und die Auseinandersetzung mit Zeitlichkeiten und Geschlecht in der slawischen Literatur geplant.
Für 2026 steht eine Jahreskonferenz zum Thema „Authentizität und Fake in den Gegenwartsliteraturen“ an der Universität Potsdam in Aussicht. Diese wird die Debatte um narratologische Fragestellungen und deren Auswirkungen auf das kulturelle Gedächtnis weiter vertiefen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Projekt EUTIM nicht nur relevante wissenschaftliche Erkenntnisse liefert, sondern auch ein Beispiel für den interdisziplinären Austausch und die zukunftsweisende Forschung in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft ist. Es bleibt abzuwarten, welche neuen Perspektiven die anstehenden Jahreskonferenzen und Publikationen, wie etwa das Werk von Birgit Neumann über Erinnerung und Identität, bringen werden. (De Gruyter)