
In einer neuen Studie, die die übliche Talentförderung im deutschen Fußball kritisch beleuchtet, wird deutlich, dass viele Vereine Millionen Euro durch ineffiziente Auswahlverfahren im Nachwuchsbereich verschwenden. Die Untersuchung von Lukas Tohoff (ROCKWOOL Foundation Berlin) und Mario Mechtel (Leuphana Universität Lüneburg), veröffentlicht im Journal of Sports Economics, zeigt das Ausmaß des Problems. Demnach führt die fehlerhafte Bewertung junger Talente häufig dazu, dass kurzfristige körperliche Vorteile mit echtem Talent verwechselt werden.
Ein zentrales Ergebnis der Forschung ist, dass Spieler meist nach Geburtsjahrgängen ausgewählt werden. Dies führt dazu, dass ältere Spieler innerhalb eines Jahrgangs, welche körperlich oft weiter entwickelt sind, überproportional gefördert werden. So ergab die Studie, dass 44,6% der geförderten U-19 Spieler in Nachwuchsleistungszentren (NLZ) im ersten Quartal eines Jahres geboren wurden, während man statistisch lediglich mit 25% rechnen würde. Ebenso zeigt sich, dass 71,5% der Spieler aus dem ersten Halbjahr stammen, was insgesamt den Erwartungen für eine gleichmäßige Verteilung widerspricht.
Der Relative Age Effect
Der sogenannte Relative Age Effect (RAE) beschreibt genau dieses Phänomen, bei dem die Geburtsmonate einen erheblichen Einfluss auf die Auswahlchancen in Talentförderprogrammen haben. Spieler, die zu Beginn eines Jahrgangs geboren wurden, profitieren oft von einem Altersvorsprung von bis zu einem Jahr gegenüber ihren jüngeren Mannschaftskameraden. Dies führt zu einer Verzerrung in der Talentförderung, da viele Vereine tendenziell körperlich robuste und erfahrungsstärkere Spieler auswählen, wie auch die Analyse von voor.sport zeigt.
Diese Ungerechtigkeiten sind nicht nur auf die Jugendmannschaften beschränkt. Der RAE ist auch in höheren Ligen des Fußballs und sogar in anderen Sportarten wie Eishockey oder Basketball nachweisbar. Die Auswirkungen sind langfristig: Die fehlerhaften Auswahlprozesse führen dazu, dass jüngere Spieler besser sein müssen, um in den Auswahlprozess aufgenommen zu werden. Dies kann bis zur Bundesliga und Nationalmannschaft reichen.
Finanzielle Auswirkungen
Die Studie bezieht sich auf eine Gruppe von 2.383 ehemaligen U15- bis U19-Spielern aus 17 renommierten deutschen NLZ, die zwischen 1988 und 2001 geboren wurden. Deutlich wird, dass Spieler, geboren im zweiten Halbjahr, im Durchschnitt oft mehr Talent und höhere Marktwerte aufweisen als ihre älteren Altersgenossen. Die Auswahlprozesse, die häufig auf jährlichen Geburtsdaten basieren, verfehlen somit nicht nur die Talentidentifizierung, sondern verursachen auch erhebliche finanzielle Verluste für die Vereine, wie advance.football anführt.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wird in der Forschung ein Umdenken gefordert. Angesichts der im RAE sichtbaren Ungleichheiten sollten Trainer, Vereine und Verbände ihre Auswahlmethoden anpassen. Initiativen wie Bio-Banding, bei denen Spieler nach biologischem Alter und Reifegrad, nicht chronologisch, eingeteilt werden, könnten eine Lösung darstellen. Diese Methode hat sich in Ländern wie Belgien bereits als effektiv erwiesen, wo Nachwuchsspieler ab U15 nach biologischem Alter eingeteilt werden.
Abschließend ist zu sagen, dass eine grundlegende Reform in der Talentförderung notwendig ist, um die langfristige Entwicklung von Spielern zu fördern und nicht nur kurzfristige Erfolge zu erzielen. Ein Umdenken ist gefordert, um das volle Potenzial junger Talente zu erkennen und zu fördern.