
Eine neue Studie zeigt, dass in Deutschland jedes Jahr Millionen für medizinische Leistungen ausgegeben werden, deren Nutzen als fragwürdig eingestuft wird. Laut einer Untersuchung von Wissenschaftlern der Technischen Universität Berlin und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) basiert die Analyse auf Abrechnungsdaten der Techniker Krankenkasse (TK). Diese umfasst 24 medizinische Leistungen, die als unangemessen gelten.
Im Zeitraum von 2019 bis 2021 wurden durchschnittlich 10,6 Millionen Fälle untersucht, wobei 4 bis 10,4 Prozent der Leistungen als medizinisch unangemessen bewertet wurden. Dies entspricht einer Gesamtzahl von etwa 1,6 Millionen Patienten, die solche fragwürdigen Behandlungen erhielten. Die geschätzten Kosten dieser Leistungen im ambulanten Bereich belaufen sich auf jährlich etwa 10 bis 15 Millionen Euro, während die TK im Jahr 2023 über sieben Milliarden Euro für ärztliche Behandlungen aufwendete.
Fragwürdige medizinische Leistungen
Zu den identifizierten fragwürdigen Leistungen zählen unter anderem die Verschreibung von Antibiotika bei unkomplizierten Atemwegsinfektionen, sowie bildgebende Verfahren wie Röntgen, CT oder MRT bei Rückenschmerzen. Auch die Messung von Schilddrüsenhormonen fT3/fT4 bei bereits bekannter Schilddrüsenunterfunktion fällt in diese Kategorie. Diese Leistungen werden oft ohne spezifische Indikationen durchgeführt, was zu vermeidbaren Kosten führt, wie die Studie zeigt.
Ein Beispiel für vermeidbare Ausgaben ist die jährliche Bestimmung von Schilddrüsenhormonen bei 200.000 bis 300.000 Fällen, was Kosten von rund 2,15 Millionen Euro verursacht. Ebenso werden Tumormarker ohne Krebsdiagnose in 50.000 bis 60.000 Fällen bestimmt, mit weiteren vermeidbaren Kosten von etwa 520.000 Euro. Diese Überversorgung birgt nicht nur finanzielle Risiken, sondern auch gesundheitliche Gefahren, etwa durch die Erhöhung antibiotikaresistenter Erreger und stressinduzierte Folgeuntersuchungen.
Ursachen der Überversorgung
Die Ursachen für diese Überversorgung sind vielschichtig. Finanzielle Anreize, Zeitdruck bei der Patientenversorgung und die Erwartungen der Patienten spielen eine Rolle. Zudem wird die verzögerte Umsetzung neuer medizinischer Leitlinien und der Glaube an „Viel hilft viel“ als rechtfertigend für überflüssige Behandlungen betrachtet. Den Forschern zufolge reicht die Auswertung von Abrechnungsdaten oft nicht aus, um medizinische Entscheidungen umfassend zu bewerten; eine Einsicht in elektronische Patientenakten wäre sinnvoll.
Obwohl Deutschland viel für Gesundheitsversorgung ausgibt, zeigt sich hierin eine Diskrepanz: trotz hoher Kosten ist die Lebenserwartung nicht entsprechend hoch. Dominik von Stillfried, Vorstand des Zi, merkt an, dass nicht alle fragwürdigen Leistungen automatisch als überflüssig angesehen werden sollten. In bestimmten Fällen, etwa bei älteren Patienten mit schlechten gesundheitlichen Bedingungen, kann die Anwendung solcher Leistungen durchaus gerechtfertigt sein.
Die Studie, geleitet von Prof. Dr. Verena Vogt an der TU Berlin, zielt darauf ab, Systematik in der Überversorgung zu schaffen und als Impulsgeber für weitere Forschung zu fungieren. In der medizinischen Gemeinschaft besteht Einigkeit darüber, dass mehr Malversationen nicht unbedingt zu einer besseren Gesundheitsversorgung führen, wodurch die Notwendigkeit für mehr Evidenz und gesteigerte Effizienz in der Versorgung evident wird. Laut Deutschlandfunk stellt die aktuelle Forschung einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Qualität der Patientenversorgung dar.