
Nach dem Sturz von Präsident Bashar al-Assad im vergangenen Dezember scheint sich die Haltung Europas gegenüber Syrien zu verändern. Hohe europäische Politiker, darunter der französische Außenminister Jean-Noël Barrot, haben angekündigt, dass die Europäische Union plant, einige der Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Dies geschieht im Rahmen einer Initiative, die darauf abzielt, den Wiederaufbau des Landes nach einem brutalen Bürgerkrieg zu unterstützen. Laut Al Jazeera wird die EU Sanktionen, die vor allem die Energie- und Transportsektoren sowie Finanzinstitutionen betreffen, teilweise aussetzen.
Die Idee hinter diesem Schritt ist es, Brücken zur neuen syrischen Führung zu bauen, während gleichzeitig humanitäre Hilfe gefördert wird. Die Sanktionen, die seit 2011 aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen von Al-Assad auferlegt wurden, schränkten den Zugang Syriens zu Kapitalmärkten und Handelsumsätzen erheblich ein. Der Konflikt hat große Teile des Landes in Trümmer gelegt, und die Mehrheit der Bevölkerung lebt in extremen Verhältnissen, oft in extremer Armut.
Schrittweise Lockerung der Sanktionen
Die EU beabsichtigt, die Sanktionen schrittweise aufzuheben, eine Strategie, die von EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas als „Schritt-für-Schritt-Strategie“ bezeichnet wird. In einem weiteren Vorstoß plant die EU-Kommission, Gesetzestexte und einen Zeitplan für diese Erleichterungen auszuarbeiten. Allerdings wird die Lockerung auch an Bedingungen geknüpft sein, insbesondere der Achtung der Menschenrechte durch die neuen Machthaber, berichtet Süddeutsche Zeitung.
Besonders die Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die von vielen als terroristische Organisation angesehen wird, bleibt ein zentrales Hindernis. Die EU plädiert dafür, die Entwicklungen der HTS zu beobachten, um sicherzustellen, dass sie grundlegenden Menschenrechtsnormen Rechnung trägt. Der französische Analyst Julien Barnes-Dacey betonte, dass die Aufhebung der Sanktionen auch US-Beteiligung erfordere, um echte Fortschritte zu erzielen. Allein die europäische Unterstützung könnte aufgrund bestehender US-Sanktionen nicht ausreichend sein, um wesentliche Fortschritte zu erzielen.
Finanzielle Unterstützung und humanitäre Hilfe
Zur Unterstützung des Wiederaufbaus Syriens wird eine umfangreiche Finanzierung benötigt, wobei Schätzungen zwischen 250 Milliarden und 1 Billion US-Dollar für notwendig erachtet werden. Die Weltbank gibt an, dass die syrische Ölproduktion stark zurückgegangen ist und 2019 nur noch bei etwa 25.000 Fass pro Tag lag, verglichen mit 368.000 Fass täglich im Jahr 2010. Dies unterstreicht die Herausforderungen, vor denen das Land steht.
Um auf die humanitären Bedürfnisse zu reagieren, hat die EU seit 2011 über 35 Milliarden Euro mobilisiert. Kürzlich versprach die EU-Kommissarin Hadja Lahbib, 235 Millionen Euro Soforthilfe zu leisten. Diese Schritte sind dringend nötig, insbesondere angesichts der Berichte über willkürliche Hinrichtungen durch mit den neuen Machthabern verbundene Milizionäre und über andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, die infolge des Konflikts an die Öffentlichkeit gelangten.
Die internationale Gemeinschaft steht vor der Herausforderung, den syrischen Bevölkerung zu helfen und gleichzeitig die integrativen Bemühungen der neuen Regierung zu unterstützen. Die Rückkehr syrischer Flüchtlinge wird als geostrategisch wichtig erachtet, jedoch wird als zu früh angesehen, um eine substantielle Rückkehr zu erwarten. Um die Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung von Menschenrechten sicherzustellen, bleibt es abzuwarten, wie sich die Situation vor Ort entwickeln wird.