
Die Regierungsbildung in Deutschland steht vor enormen Herausforderungen. Sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene wird es zunehmend komplizierter, funktionale Mehrheiten zu bilden. Bei den bevorstehenden Neuwahlen wird dies für die Parteien noch schwieriger. Das Szenario von Minderheitsregierungen ist damit von zentraler Bedeutung. Wie uni-konstanz.de berichtet, könnte Deutschland in eine Phase eintreten, die Ähnlichkeiten mit den skandinavischen Ländern aufweist, wo Minderheitsregierungen häufig vorkommen.
Politikwissenschaftler Sven Jochem von der Universität Konstanz hat die Bedingungen für stabile Minderheitsregierungen erläutert. In Skandinavien haben sich solche Regierungen tendenziell stabilisiert, da sie formalisierte Abkommen mit festen Partnern in der Opposition eingehen. Diese Abkommen erinnern stark an Koalitionsverträge, die in traditionellen Mehrheitsregierungen üblich sind. Die Unterstützungsparteien in einer Minderheitsregierung können parallel als Opposition agieren und sich dabei mehr Freiheiten in ihrer Rolle als kritische Reformkräfte erlauben.
Minderheitsregierungen in Skandinavien
Der Anteil der Minderheitsregierungen in Skandinavien ist signifikant. In Dänemark machen diese etwa 90% aller Regierungen aus, in Schweden liegt der Anteil bei ca. 70% und in Norwegen bei 60%. Dies zeigt eine vergleichsweise hohe Akzeptanz für solche Regierungsformen, die auf einer langen historischen Erfahrungen mit politischer Kultur und einem gewachsenen Demokratieverständnis beruht. In den skandinavischen Ländern finden sich keine zweite Kammer oder Verfassungsgerichtsbarkeit, was den Oppositionsparteien ermöglicht, über die inneren Strukturen des Parlaments Einfluss zu nehmen. Laut ifdem.de haben Ausschüsse eine entscheidende Rolle in Zeiten von Minderheitsregierungen, da alle Parteien Kompromisse eingehen müssen.
Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist der negative Parlamentarismus. In Ländern wie Dänemark, Norwegen und Schweden kann eine Regierung gebildet werden, solange keine absolute Mehrheit dagegen stimmt. Das erleichtert das Regieren ohne feste Mehrheit enorm. Eine Minderheitsregierung erfordert jedoch auch eine „Exit-Strategie“, um sich vor der Opposition abzusichern, beispielsweise durch die Möglichkeit zur Auflösung des Parlaments, was in Nordeuropa einfacher geregelt ist. Dies bietet skandinavischen Minderheitsregierungen mehr Handlungsspielraum.
Herausforderungen in Deutschland
Die Übergänge zum negativen Parlamentarismus in Deutschland könnten die Möglichkeit für stabile Minderheitsregierungen erweitern. Hierzulande könnte sich die Situation jedoch als komplexer herausstellen. Während die informelle Kommunikation zwischen Politikern unterschiedlicher Parteien entscheidend für das Funktionieren einer solchen Regierung ist, gibt es in Deutschland tiefere programmatische Hürden, die Flexibilität erfordern. Jochem legt dar, dass programmatische „rote Linien“ schwer mit einer Minderheitsregierung vereinbar sind. Konsensfähigkeit und Pragmatismus werden unerlässlich.
Insgesamt wird erwartet, dass die Parteien während der bevorstehenden Neuwahlen verstärkt in Richtung Minderheitsregierungen denken müssen. Die großen Herausforderungen in der gegenwärtigen politischen Landschaft könnten diese Entwicklung beschleunigen und dabei helfen, ein neues Verständnis der Regierungsführung und der politischen Zusammenarbeit zu entwickeln. Mehr Informationen zur Thematik der Minderheitsregierungen, ihren Strukturen und Herausforderungen gibt es auch im Bundestag.