
Ulla Koch, die frühere Bundestrainerin der deutschen Turnerinnen, hat entschieden, ihr Amt als Vizepräsidentin des Deutschen Turner-Bundes (DTB) vorübergehend ruhen zu lassen. Diese Maßnahme wurde im Sinne eines optimalen Aufarbeitungsprozesses getroffen und gilt für die Dauer der Untersuchung. Koch ist seit drei Jahren in dieser Position und hat sich zu diesem Schritt eigenständig entschlossen. Der DTB erkennt ihre „unbestrittenen Verdienste“ im deutschen Turnen an.
Diese Entscheidung fällt zeitlich zusammen mit schweren Vorwürfen, die von mehreren ehemaligen Auswahl-Turnerinnen gegen die Arbeit am Bundesstützpunkt in Stuttgart erhoben wurden. Die Athletinnen, darunter Tabea Alt und Michelle Timm, berichten von „systematischem körperlichen und mentalen Missbrauch“. Der DTB sowie der Schwäbische Turnerbund (STB) sind derzeit dabei, die Geschehnisse umfassend aufzubereiten, während das vorläufig freigestellte Trainer-Duo nicht in den Trainingsbetrieb zurückkehren wird.
Die Forderungen nach Aufklärung
Die Vorwürfe gegen das deutsche Turnsystem scheinen an die skandalösen Vorfälle im Kunstturnen in der Schweiz zu erinnern, die vor einigen Jahren durch die sogenannten „Magglingen-Protokolle“ aufgedeckt wurden. Ethik-Professorin Natalie Barker-Ruchti, die bei den Aufklärungsbemühungen in der Schweiz eine Rolle spielte, kommentiert die aktuellen Entwicklungen als „Déjà Vu“. Sie verweist darauf, dass solche Missstände nicht nur in Deutschland, sondern weltweit verbreitet sind.
Barker-Ruchti betont die Notwendigkeit einer gründlichen Sensibilisierung für Trainerinnen und Trainer, um ähnlichen Missständen in der Zukunft entgegenzuwirken. Der Druck auf die jungen Turnerinnen, in kurzer Zeit Höchstleistungen zu erbringen, kann ein Nährboden für Missbrauch sein. Dies wird besonders dadurch erschwert, dass in vielen Fällen das dominierende Körperideal eine zusätzliche Anfälligkeit schafft.
Die Reaktionen auf die Vorwürfe sind vielfältig. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Kultusministerium Baden-Württemberg fordern eine detaillierte Aufarbeitung. Sportministerin Theresa Schopper hat den Druck auf den STB erhöht, um sicherzustellen, dass die Vorwürfe umfassend und transparent behandelt werden.
Ein Rückblick auf sportliche Erfolge
Während sich die Turnszene mit diesen äußerst ernsthaften Vorwürfen auseinandersetzt, bleibt der sportliche Erfolg der deutschen Turnerinnen nicht unbeachtet. Erst kürzlich schafften es die Athletinnen zum ersten Mal in ein olympisches Team-Finale. In Rio de Janeiro erlebten die Turnerinnen einen Jubel, der unvergesslich blieb. Kim Bui beschrieb die Atmosphäre nach dem Wettkampf als ausgelassen, während Elisabeth Seitz stolz auf die Fehlerlosigkeit des Teams verwies.
- Tabea Alt plant, im Finale an zwei Geräten zu turnen.
- Elisabeth Seitz und Pauline Schäfer wurden für je zwei Einzelfinals nominiert.
- Seitz und Schäfer zogen als Fünfte und Sechste in den Medaillenkampf am Stufenbarren ein.
Ulla Koch, die seit elf Jahren als Cheftrainerin des Teams tätig ist, hat während ihrer Amtszeit viele Veränderungen angestoßen und betont dabei die Wichtigkeit der Individualität der Turnerinnen. Der Erfolgskurs der deutschen Turnerinnen soll trotz der vorliegenden Herausforderungen fortgesetzt werden. Koch selbst erkennt jedoch an, dass die Wiederholung der bisherigen Leistungen eine große Herausforderung darstellen wird.
In den kommenden Tagen werden weitere Neuigkeiten im Aufklärungsprozess erwartet, einschließlich der Besetzung einer Untersuchungskommission und den ersten Ergebnissen der laufenden Aufarbeitung der Vorwürfe.
Die Situation im deutschen Turner-Bund bleibt angespannt, doch der Wunsch nach Aufklärung und Verbesserung ist deutlich spürbar.
Für weitere Informationen über die Entwicklungen im Turnskandal lesen Sie die Berichte von Tagesspiegel, MZ und SWR.