
Die Debatte um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird in den kommenden Wochen voraussichtlich an Intensität gewinnen, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen im Februar 2025. Ein zentrales Thema ist die Einführung eines Karenztages, an dem Arbeitnehmer im Falle einer Krankheit keinen Lohn beziehen würden. Dies fordert unter anderem Allianz-Chef Oliver Bäte, um die steigenden Krankenstände in Deutschland zu reduzieren und potenzielle Einsparungen für Arbeitgeber zu schaffen. Derzeitig erhalten Arbeitnehmer in Deutschland ab dem ersten Krankheitstag weiterhin ihr Gehalt, was im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ungewöhnlich ist.
Eine aktuelle Untersuchung des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass deutsche Arbeitnehmer 2023 im Durchschnitt 15,1 Arbeitstage krankgemeldet waren, während bei der DAK-Gesundheit sogar von monatlichen 20 Fehltagen pro Person gesprochen wird. Im Gegensatz dazu liegt der EU-Schnitt bei lediglich acht Krankheitstagen pro Jahr. Die hohe Anzahl der Krankenstände könnte unter anderem auf eine erhöhte Meldequote aufgrund digitaler Übermittlung, mehr Infektionen sowie die Anforderungen vieler Arbeitgeber, eine ärztliche Bescheinigung bereits am ersten Krankheitstag vorzulegen, zurückzuführen sein.
Karenztag im internationalen Vergleich
Der Karenztag, der in mehreren europäischen Ländern wie Schweden, Dänemark, Finnland, Italien und Spanien praktiziert wird, hat laut Bäte das Potenzial, jährlich bis zu 40 Milliarden Euro für Arbeitgeber einzusparen. In Deutschland sind Arbeitgeber aufgrund der 77 Milliarden Euro, die jährlich für die Gehälter von kranken Mitarbeitern aufgebracht werden müssen, unter Druck. Zudem kommen noch 19 Milliarden Euro von den Krankenkassen dazu.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) äußert sich skeptisch zu den Vorschlägen für einen Karenztag und warnt vor möglichen Lohnausfällen und Gesundheitsrisiken für die Beschäftigten, die aus Angst vor finanziellen Einbußen krank arbeiten könnten. Unterstützung findet er bei Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der vehement gegen die Einführung eines Karenztages argumentiert und betont, dass die Deutschen keine „Drückeberger“ seien.
Kritik und alternative Vorschläge
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert den Vorschlag eines Karenztages als ungerecht und warnt vor „Präsentismus“, bei dem Mitarbeiter trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen. Auch die IG Metall bezeichnet die Vorschläge als fatal und sieht sie als Bedrohung für die soziale Sicherheit. Politisch ist die Meinung darüber gespalten: Während einige Politiker eine Diskussion über Karenztage offen verfolgen, lehnen andere den Vorschlag kategorisch ab.
Alternativen dazu wurden ebenfalls vorgeschlagen, darunter die Einführung steuerfreier Prämien für Monate ohne Krankmeldung durch die FDP, um Anreize zu schaffen statt Sanktionen. Gleichzeitig gibt es Stimmen aus der Wirtschaft, die eine bessere Unternehmenskultur fordern, um Mitarbeiter in Krankheitsfällen besser zu unterstützen. Weitere Experten, wie Sozialexperte Bernd Raffelhüschen, plädieren für bis zu drei Tage ohne Lohn, um die Kosten für Arbeitgeber zu senken.
Krankentage in Europa im Vergleich
Auf EU-Ebene gelten teils sehr unterschiedliche Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In Frankreich beispielsweise beträgt das Krankengeld normalerweise 50 Prozent des Referenzlohns, maximal 47,43 Euro pro Tag, in Luxemburg erhalten Arbeitnehmer 100 Prozent für die ersten 77 Krankentage, während Schweden bis zu 80 Prozent des Gehalts für bis zu 364 Tage zahlt. Diese Unterschiede verdeutlichen die Komplexität des Themas und die Auswirkungen möglicher Reformen in Deutschland.
Insgesamt bleibt die Einführung eines Karenztages in Deutschland unter den gegenwärtigen politischen und sozialen Rahmenbedingungen eher unwahrscheinlich. Der Widerstand aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft ist stark und könnte eine signifikante Hürde für die Umsetzung solcher Maßnahmen darstellen. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie sich die Debatte entwickeln wird und ob es zu einem Umdenken in der deutschen Verantwortung gegenüber kranken Arbeitnehmern kommt.