
Am 7. Januar 2025 wurde eine Strafanzeige an die Hanauer Staatsanwaltschaft übermittelt, die sich gegen zwei hochrangige Polizeivertreter richtet. Angeklagt sind Roland Ullmann, der ehemalige Präsident des Polizeipräsidiums Südosthessen, und Jürgen Fehler, der einstige Polizeidirektor des Main-Kinzig-Kreises. Ihnen wird fahrlässige Tötung vorgeworfen, da sie für die Fehlfunktionen des Notrufsystems in Hanau verantwortlich gemacht werden.
Niculescu Păun, der Vater von Vili Viorel Paun, einem der Opfer des rassistisch motivierten Terroranschlags, hat die Anzeige eingereicht. Seinen Überzeugungen nach, trugen die Versäumnisse und die mangelhafte technische Ausstattung des Notrufsystems zu dem tödlichen Schicksal seines Sohnes bei. Vili war am 19. Februar 2020 in seinem Auto erschossen worden, nachdem er mehrfach vergeblich versucht hatte, Hilfe über den Notruf zu erreichen.
Versäumnisse im Notrufsystem
Untersuchungen ergaben, dass das Notrufsystem in der Nacht des Anschlags personell unterbesetzt und technisch veraltet war. Insbesondere gab es keinen Überlauf für nicht entgegengenommene Anrufe, was dazu führte, dass zahlreiche Notrufe, auch die von Vili Paun, die Polizei nicht erreichten. Die internen Dokumente der hessischen Polizei belegen, dass schon seit 2004 immer wieder Verbesserungen des Notrufsystems gefordert wurden, jedoch blieben die Initiativen ohne Ergebnis.
Bereits 2017 wurde von einem Polizeihauptkommissar auf die dringende Notwendigkeit hingewiesen, ein „Red-Button“-System zu implementieren, das Notrufe im Falle eines Terroranschlags priorisieren könnte. Es wurde damals auch gewarnt, dass bei einem Anschlag wie in London bis zu 70 Prozent der Anrufe verloren gehen könnten. Trotz der exorbitanten Kosten von etwa 230.000 Euro für die Umsetzung in ganz Hessen wurde dieser Vorschlag nicht realisiert.
Unzureichende Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft Hanau hatte im Jahr 2021 ein Ermittlungsverfahren abgelehnt, da kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten festgestellt worden sei. Niculescu Păun ist jedoch überzeugt, dass sein Sohn noch leben könnte, wenn die Polizei rechtzeitig informiert worden wäre. Sein Lebensmut und der seiner Familie stehen in direktem Zusammenhang mit der Erwartung, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
In der Anklageschrift wird zudem auf ein Organisationsverschulden hingewiesen, insbesondere hinsichtlich der technischen und personellen Ausstattung des Notrufsystems. Die Verantwortlichkeiten der beschuldigten Personen wurden im Rahmen eines Untersuchungsausschusses und verschiedenster Recherchen offenbart. Trotz dieser Offenlegungen wiesen die Verantwortlichen der Polizei Vorwürfe zurück und begründeten die Verzögerungen mit technischen und organisatorischen Gründen.
Dringlichkeit der Gerechtigkeit
Die Verjährungsfristen für mögliche Straftaten rücken näher, was die Dringlichkeit für eine Klärung der vorgefallenen Ereignisse zusätzlich erhöht. Niculescu Păun sieht die eingereichte Strafanzeige als seine letzte Chance für Gerechtigkeit und erinnert sich an die unvorstellbaren Tragödien, die die Familien der Opfer erlitten haben. Der Fall wirft nicht nur Fragen zu den individuellen Verantwortlichkeiten auf, sondern beleuchtet auch weitreichende Mängel im Sicherheitsapparat.
Zusammenfassend zeigen die tragischen Ereignisse von Hanau, dass nicht nur die Schuld der Täter, sondern auch die Defizite im Notrufsystem und die darin verwickelten Behörden dringend untersucht werden müssen. Es bleibt abzuwarten, wie die Staatsanwaltschaft auf die neu eingereichte Strafanzeige reagieren wird, und ob es tatsächlich zu einem Wandel im Umgang mit solchen schwerwiegenden Vorwürfen kommen kann.
Für weiterführende Informationen zu dem Fall und den Hintergründen: LVZ berichtet, FR informiert, oder werfen Sie einen Blick auf die Analyse von De Gruyter.