
Der Sturz von Baschar al-Assad vor einem Monat hat Syrien in eine Phase des Wandels sowie der Unsicherheit gestürzt. Mit der Herrschaft der HTS-Miliz (Hay’at Tahrir al-Sham) zeigen sich neue Machthaber pragmatisch, jedoch gibt es bereits Anzeichen für eine islamistische Agenda, die die Bedenken der Bevölkerung schüren. Der Anwalt Hassan Ali Abdullah praktiziert weiterhin in Damaskus und hofft auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Wie tagesschau.de berichtet, erleben viele Syrer Freiheiten, die sie zuvor nicht gekannt hatten, doch die Unsicherheit über die Zukunft bleibt hoch.
Ahmed al-Scharaa, als starker Mann der neuen Regierung bekannt, zeigt sich zurückhaltend über die Übergangsphase. Insbesondere seine Vergangenheit als Kommandeur bei IS und al-Kaida wirft Fragen über die Stabilität und Richtung der neuen Herrschaft auf. Trotz der Ansprüche der HTS, sich als stärkste militärische Kraft in Syrien zu behaupten, sind sie nicht die einzige Macht im Land. Die Lage wird zusätzlich durch Kämpfe im Norden Syriens zwischen von der Türkei unterstützten Milizen und kurdischen Kräften verkompliziert. Ein Kommandeur der YPG-Miliz warnt vor einer aktiven Präsenz von IS-Kämpfern im Land.
Internationale Reaktionen
Internationale Politiker, darunter die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, haben den alten Assad-Palast besucht. Baerbock betonte, dass Europa nicht islamistische Strukturen finanzieren werde. Das Augenmerk liegt nun auf einer geplanten Konferenz des Nationalen Dialogs zur Zukunft Syriens, deren Termin und Teilnehmer jedoch noch unklar sind.
Die gesellschaftliche Spaltung wird durch Proteste, wie die syrischen Christen in Damaskus zeigen, die nach der Veröffentlichung eines viralen Videos lautstark auf die Straße gingen. Besorgnis über die neuen islamistischen Machthaber, insbesondere Justizminister Shadi al-Waisi, ist weit verbreitet, nachdem er früher für die Al-Nusra-Miliz als Richter arbeitete. Der Druck auf al-Waisi wächst, insbesondere nach der Veröffentlichung eines Videos, das seine Beteiligung an einer Hinrichtung im Jahr 2015 zeigt.
Desinformation und ihre Folgen
Zusätzliche Ängste werden durch Falschübersetzungen und Desinformation geschürt. Über soziale Medien verbreitete Gerüchte und virale Videos, die Angriffe gegen verschiedene Volksgruppen zeigen, führen zu einem tiefen Misstrauen in der syrischen Gesellschaft. Laut zdf.de befeuern auch pro-russische und antimuslimische Kanäle im Ausland die Verbreitung von Fehlinformationen.
Die syrische Bevölkerung hat über Jahrzehnte hinweg Misstrauen zueinander gelernt, verstärkt durch die Politik des Assad-Regimes. Der Herausforderung, mit Gerüchten und Falschinformationen umzugehen, kommt zentrale Bedeutung zu, wenn eine mögliche Aussöhnung angestrebt wird.
Ausblick auf die Zukunft
Die Risiken nach dem Sturz des Assad-Regimes sind vielfältig. Optimisten vergleichen die Situation mit dem Fall der Berliner Mauer, während Pessimisten ein Chaos und Terrorismus prognostizieren. Augsburger Allgemeine skizziert drei mögliche Szenarien für die Zukunft Syriens: einen Übergang zur Demokratie, die Entstehung eines islamistischen Staates oder die Gefahr von Chaos und Instabilität.
Es wird ein langer Weg werden, die Herausforderungen der Nachkriegsordnung zu bewältigen – angefangen bei der wirtschaftlichen Wiederherstellung bis hin zur Rückkehr der elf Millionen Flüchtlinge. Radwan Ziadeh hat einen Plan für die demokratische Transformation präsentiert, der auf der UN-Resolution 2254 aufbaut. Doch Zweifel bleiben, ob es unter der Führung der HTS zu einer echten demokratischen Entwicklung kommen kann.
Der Wiederaufbau des Landes und die Überwindung der umliegenden Bedrohungen erfordern nicht nur nationale Anstrengungen, sondern auch eine konstruktive internationale Unterstützung, um eine stabile und friedliche Zukunft für Syrien zu ermöglichen.