
In einem wegweisenden Projekt zur nachhaltigen Bauweise forscht das Team von Prof. Dr.-Ing. Mathias Wirths an der Universität Siegen an der Entwicklung neuer Konstruktionswerkstoffe aus Riesenchinaschilf (Miscanthus giganteus). Diese schnell wachsende Pflanze könnte als innovativer Holzersatz im Bauwesen fungieren, was vor allem der Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit der Branche zugutekommen würde.
Der aktuelle Forschungsbericht „Zukunft Bau“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hebt die Bedeutung von Pflanzen wie dem Riesenchinaschilf und dem Blauglockenbaum (Paulownia) zur Schaffung nachhaltiger Baustoffe hervor. Gemeinsam mit Partnern von der Alanus Hochschule, der RWTH Aachen und der Universität Bonn sowie dem Industriepartner Evonik Industries AG wird im Rahmen des Projekts „Neue Konstruktionswerkstoffe Nachwachsende Rohstoffe“ intensiv an der Weiterentwicklung dieser Materialien gearbeitet.
Technologische Herausforderungen und Innovationsansätze
Ein zentrales Element der Forschung ist die Herstellung von Biegeträgern aus Riesenchinaschilf. Diese Träger zeigen unter Biegebelastung ein Verformungsverhalten, das mit dem von handelsüblichem Bauholz vergleichbar ist. Dennoch steht das Projekt vor der Herausforderung, eine kraftschlüssige Verbindung zwischen den Halmen herzustellen, insbesondere aufgrund der glatten Oberfläche der Schilfblätter.
Um dieses Problem zu lösen, wurde eine eigens entwickelte Maschine, der „Miscanthus-Biber“, zur Aufrauhung, Verklebung und Pressung der Schilfblätter entwickelt. Das Team experimentiert mit verschiedenen Bindemitteln, einschließlich biologischer Kleber wie Knochenleim, die jedoch nicht wasserfest sind. Epoxidharze wurden ebenfalls als alternative Kleberoption in Betracht gezogen, weisen jedoch durch ihre Erdölbasis Defizite hinsichtlich der angestrebten Nachhaltigkeit auf.
Potenzial zur CO2-Speicherung
Die Entwicklung dieser innovativen Baustoffe erfolgt vor dem Hintergrund eines politischen Ziels: bis 2045 klimaneutrale Gebäude in Deutschland zu erreichen. Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Bauphysik und der TU München zum CO₂-Speicherpotenzial von Mauerwerk zeigt, dass auch alternative Materialien wie die aus Riesenchinaschilf zur CO₂-Bindung beitragen können. Bisher wurden seit 1970 in Mauerwerksbauten rund 31 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gebunden, was die Bedeutung der Dekarbonisierung im Bauwesen verdeutlicht.
Die weiteren Forschungen am Riesenchinaschilf und dessen Eignung für Primärkonstruktionen bieten vielversprechende Perspektiven für die zukünftige Praxis im Bauwesen. Das Team unter Prof. Wirths plant, die gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, um die Prozesse vom Rohstoff bis hin zu den baulichen Anwendungen zu optimieren und damit einen markanten Beitrag zur nachhaltigen Bauindustrie zu leisten.